Neu im Kino: "Interview":Die Wahrheit ist eine Lüge

Zynischer Reporter trifft auf exaltiertes Filmstarlet, Seriosität auf Trash: Mit "Interview" verfilmt Steve Buscemi einen Stoff des ermordeten holländischen Medien-Zampanos Theo van Gogh.

Hans Schifferle

Er hat die harte Realität auf seiner Seite. Als Journalist und Kriegsberichterstatter scheint er alle Schmerzen dieser Welt zu kennen, so blass und zerfurcht ist sein Gesicht - das Gesicht eines hartgesottenen, zynischen, auch unsicheren Reporters.

Selbst der Name ist Programm. Pierre Peters, das klingt kosmopolitisch und einfühlsam, aber auch zupackend, und genauso verkörpert Steve Buscemi, die Ikone des Independent-Kinos, diese Figur. Wehe, er hat das seltsame Ding namens Wahrheit im Sack.

Sie ist ganz glamouröse und melodramatische Fiktion. Der junge Film- und Fernsehstar namens Katja, gespielt von dem It-Girl Sienna Miller. Begonnen hat diese Katja ihre Karriere als Starlet in Horrorfilmen, jetzt spielt sie eine große Rolle in einer Edel-Soap à la "Sex And The City".

Machtkampf der Geschlechter

Nichts scheint echt an ihr zu sein: weder die Brüste, die sie nach Belieben vergrößern oder verkleinern lässt, noch jemals die Tränen, die sie als versierte Aktrice fließen lassen kann, wie sie mag. Und auch ihr Name ist natürlich Pseudo. Katja, das klingt einfach, exotisch und mysteriös, wie der Name eines Warhol-Superstars.

Welche dieser beiden Figuren ist nun seriös, wem kann man vertrauen als Zuschauer? Dem Mann mit den Fakten und dem Wissen um Zusammenhänge - oder der blonden, enervierenden Königin der Pop- und Trashkultur? Pierre Peters hat den Auftrag angenommen, die erfolgreiche Celebrity Katja zu interviewen.

Als sich der Reporter und die Diva endlich in einem New Yorker Restaurant gegenübersitzen, beginnt sogleich ein Machtkampf der Geschlechter und auch der kulturellen Klassen. Für ihn ist die Schauspielerin ein intellektuelles Nichts, für sie ist der Schreiberling ein aufgeblasener Nobody. Jeder unterschätzt den anderen, jeder bleibt bis zum bitteren Ende seiner Profession treu.

Man kriegt sich bald in die Haare und beendet vorerst das Interview. Doch die beiden Kombattanten scheinen auch magnetisch voneinander angezogen. So kommt es, dass sie nach einigen Verwicklungen das Interview in Katjas nahe gelegenem Superloft fortsetzen.

Dort entsteht nicht nur ein Workshop der Emotionen, sondern geradezu eine War Zone, in der Pierre Peters, ein latenter Misogynist, wie ein Kriegsberichterstatter weibliches Terrain erkundet. Wenn er von Gräueltaten aus Bosnien erzählt, um Katja zu beeindrucken und ihr eine Art Realitätsschock zu verpassen, wird der Horror des Krieges zur rhetorischen Formel, zur Soap Opera. Schnell wird klar: Hier ist ein Reporter des Satans zu Besuch bei der Göttin der Lügen.

Das Populäre

"Interview", von Buscemi selbst inszeniert, basiert auf dem gleichnamigen Film des 2004 von einem Islamisten ermordeten holländischen Medien-Zampanos Theo van Gogh. Buscemis Film, mit Hilfe von ehemaligen van-Gogh-Mitarbeitern auch in dessen Video-vérité-Stil realisiert, ist weniger ein Remake des eher rohen, eindeutigen und auch langatmigen Originals, sondern vielmehr Ausarbeitung, Interpretation und Van-Gogh-Hommage. Buscemis Film ist eleganter, nuancenreicher und ambivalenter - dennoch sind van Gogh damals einige Großaufnahmen der Verletzlichkeit seiner Interviewpartner gelungen, die man hier vermisst.

Das verbindende Thema bleibt die verspielte und verzweifelte Suche nach letzten Fetzen von Wahrheit. Wie van Gogh lässt Buscemi dabei die Medium-Cool-Reflexionen der späten sechziger Jahre wieder aufleben, ohne allerdings die Intensität der alten Avantgarde zu erreichen. "Interview" bleibt so ein Thriller über die Grauzone zwischen Lüge und Wahrheit.

Der Mann, der die Realität auf seiner Seite weiß, scheint in seinem Strategiespiel am Ende die Wirklichkeit nicht mehr zu erkennen. Und die Frau ist sowieso eine Trash-Sphinx, ihre Lügen können die Wahrheit sagen und umgekehrt. Diese Aussage dürfte auch im Sinne des Medienberserkers van Gogh sein: nie das Populäre, die schöne Oberfläche zu unterschätzen.

INTERVIEW, USA/NL 2008 - Regie: Steve Buscemi. Buch: Buscemi und David Schechter nach Theo van Gogh und Theodor Holman. Kamera: Thomas Kist. Musik: Evan Lurie. Mit Steve Buscemi, Sienna Miller. Verleih: Kinowelt, 84 Min.

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