Neu im Kino:Der Kuss der Kröte

Mit den Märchen haben Terry Gilliams assoziative Phantasien nichts zu tun und als Hollywood-Konstruktion ist "Brothers Grimm" vielleicht daneben gegangen. Er zeigt in seinem Film, warum wir üben sollten, mit unseren Ängsten zu leben.

Susan Vahabzadeh

Man kann sich schon vorstellen, was Terry Gilliam wollte mit diesem Film: Er wollte zurück zum Ursprung des Horrorkinos, zu den Schauergeschichten, mit denen alles begann, lange bevor die Brüder Grimm sie sammelten und aufschrieben.

Neu im Kino: Monica Belluci als Spiegelkönigin in "Brothers Grimm".

Monica Belluci als Spiegelkönigin in "Brothers Grimm".

(Foto: Foto: ddp)

Gilliam ist sich des Erbes bewusst, das das Gruselkino fortführt, und er weiß besser Bescheid über dessen Aufgaben, über die Gefühlsverwaltung, die man mit seiner Hilfe betreibt, über die verdrängten Ängste und Sehnsüchte, die es hervorzerrt.

Wenn man sich die "Brothers Grimm" anschaut, kann man verstehen, warum Gilliam hin- und hergerissen war, als man ihm diesen Film anbot. Er genießt die Märchenwelt und ihren Schrecken, aber vor Hollywood und seiner Mechanik hat er richtige Angst. Was er macht, ist organisch und assoziativ, bis man nicht mehr weiß, ob Albträume Märchen gebären oder umgekehrt.

Düsteres Deutschland

Gilliam, Mitglied der legendären Monty-Python-Truppe, hat sich der Brüder Grimm angenommen, die realen Personen aber dabei links liegen lassen. Sein Brüderpaar macht ein Geschäft aus der Angst.

In den düsteren deutschen Dörfern, in denen der Geist der Aufklärung noch nicht angekommen ist, tauchen sie auf - Team Grimm zu Ihren Diensten! -, hören sich die Geschichten an und exorzieren dann mit großem Brimborium Hexen und Geister, die die Bewohner gesehen zu haben glauben.

Der versponnene Jake - Jakob Grimm, von Heath Ledger gespielt - ist kein Literaturprofessor, sondern ein trickreicher Erfinder, der mit Rauch, Kostümen und der Hilfe von zwei Gaunern die Schreckensphantasien der Dörfler vor ihren Augen erstehen lässt, damit der geschäftstüchtige Will - Wilhelm, verkörpert von Matt Damon - sie gegen Geld vernichten kann.

Doch die Franzosen sind eingerückt, Oberbefehlshaber Delatombe will dem Aberglauben ein Ende bereiten und lässt die Grimms festnehmen. Damit sie einem Spuk ein Ende setzen, den er für eine weitere Betrügerei hält - kleine Mädchen verschwinden.

Doch den Grimms dämmert bald, dass die Konkurrenz entweder besser ist oder wirklich zaubern kann. Die größte Stärke dieses Films ist, dass Terry Gilliam ihn als großen Schaukampf zwischen Rationalismus und Phantasie inszeniert - die Franzosen wollen Ordnung herstellen, und Ordnung ist Gilliam ein Graus.

Die Grimms landen in einem wunderschönen Zauberwald, in dem die Bäume sich bewegen, sobald man ihnen den Rücken zuwendet, die furchtlose, hexengläubige Amazone Angelika aus dem Dorf führt sie zu einem verwunschenen Turm, in dem eine Königin seit Jahrhunderten wohnt, die zwar den Zauber gefunden hat fürs ewige Leben, aber nicht bedachte, dass sie auch den für ewige Schönheit bräuchte...

Die Brüder Grimm ziehen aus, das Fürchten zu lernen, und ähnlich wie im Mädchen finden sie heraus, dass die Angst eine nahe Verwandte der Liebe ist.

Gewollter Nonsens

Der Film fand wenig Beifall, als er bei den Filmfestspielen in Venedig im Wettbewerb lief - was für dieses durchgeknallte, aber leichte Assoziationsspiel vielleicht wirklich nicht der richtige Ort ist.

Tatsächlich muss man erst mal alle Erwartungen abschütteln, um "Brothers Grimm" zu genießen. Das Akzent-Kuddelmuddel der Originalversion verflüchtigt sich gottlob in der Synchronisation, aber der Plot bleibt unübersichtlich; Gilliam ist nun mal ein Anhänger des gewollten Nonsens.

Jake und Will erinnern eher an Kevin Kline und Will Smith, die in "Wild Wild West" mit wüsten Erfindungen durch die Vergangenheit tobten, als dass sie einem über ihre historischen Vorbilder informieren würden.

Wenn Jake, in der Vorgeschichte, sich Zauberbohnen andrehen lässt statt Medizin zu kaufen für die kranke Schwester, erzählt das mehr von Terry Gilliam, für den all seine Märchenwelten, von den "Monty Python"-Filmen über "Münchhausen" bis hin zu den Halluzinationen in "Fear and Loathing in Las Vegas", eine Erdung haben.

Existierende Märchen zu verfilmen, das hätte ihn nicht interessiert, er lässt seiner eigenen Phantasie freien Lauf. Er nimmt das Brüderpaar her und ein paar ihrer Märchen - der Insel-Verlag hat eben jene, die er verwendet hat, als Buch zum Film herausgebracht -, daraus entwickelt er eine Geschichte, wie man in einem Albtraum manchmal Erlebtes verarbeitet und dabei verändert und verfremdet.

Überforderte Schauspieler

Das schlohweiße Haar der bösen Königin reicht bis zum Boden des Turms, in dem sie sich eingemauert hat, als unten die Pest wütete, Will muss eine Kröte küssen damit sie ihm den Weg weist, und ein kleines Mädchen mit einem roten Umhang flüchtet aus dem Wald... kleine Bruchstücke der Erinnerung an die Grimmsche Sammlung, die sich zusammenfügen zu einem neuen Bild.

Trotzdem hat Gilliam nicht das Beste gemacht aus diesem Stoff. Was überwiegend daran liegt, dass, mit Ausnahmen, die Schauspieler überfordert sind und die Dialoge zu schwach.

Einzig Monica Bellucci als entstellte Königin und die knallharte Angelika, Lena Headey, scheinen sich im klaren darüber zu sein, was sie tun - Heath Ledger, Matt Damon und Peter Stormare als irrer italienischer Folterknecht irren in der Story herum wie Hänsel und Gretel im Wald.

So schön und kunstvoll Gilliams Träume sind, man verheddert sich leicht ihn ihnen, sie haben kein Ziel und kein Ende, man wacht bloß irgendwann aus ihnen auf. Hier werden dann ein paar Auflösungen nachgereicht, weil die Grimmschen Märchen nicht im totalen Schrecken enden.

Nachtmahr voll scheußlicher Visionen

Gilliam macht kein Geheimnis daraus, dass er an Ehren Krugers Drehbuch noch gearbeitet hat - bestimmt war Krugers Version übersichtlicher und konventioneller, aber auch wesentlich schlichter.

Als große Hollywood-Unterhaltungs-Konstruktion ist "Brothers Grimm" nun vielleicht daneben gegangen, aber Gilliam hat seinen Nachtmahr vollgepackt mit Visionen, die einen umtreiben - grässliche Fratzen und scheußliche Folterinstrumente, furchterregende heulende Hexen und das Gesicht eines Kindes ohne Augen und Mund.

Am Ende, wenn man einem einstürzenden Turm zusieht - ein Bild, das noch für lange Zeit mit Schrecken überfrachtet ist -, dann kann einem dämmern, warum Gilliam findet, wir sollten üben, mit unseren Ängsten zu leben, im sicheren Dunkel eines Kinos oder versteckt hinter einem Buchrücken.

THE BROTHERS GRIMM, USA 2005 - Regie: Terry Gilliam. Buch: Ehren Kruger. Kamera: Newton Thomas Sigel. Produktionsdesign: Guy Hendrix Dyas. Mit: Matt Damon, Heath Ledger, Peter Stormare, Lena Headey , Jonathan Pryce, Monica Bellucci. Concorde, 118 Minuten.

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