Neu im Kino: "39,90":Der Gucci-Revolutionär

Mit der festen Absicht, gekündigt zu werden, schrieb Werber Frédéric Beigbeder einen Roman über die konsumterroristische Welt hinter den Kulissen der Hochglanz-Werbung. Nun kommt das Buch ins Kino.

S. Vahabzadeh

Schlimmer als die Werbung sind die Menschen, die sie machen. Wenn Octave morgens verkatert aufwacht, steigt er über die Partyleichen auf seinem Fußboden, bellt, sie sollen verschwinden, und kotzt auf eine schlafende Schöne in der Badewanne. Ein Ekel mit einer großen Klappe, aber er hat ja auch einen ekelhaften Tag vor sich: Er muss eine gute Idee auf das Niveau eines verspießerten Kunden herunterschrauben, so tun, als gefiele es ihm, Dinge zu verkaufen, die er für komplett überflüssig hält, und anschließend die nächste Party veranstalten mit Menschen, die er nicht mag.

Neu im Kino: "39,90": Oberflächlich, arrogant und stolz darauf: Octave (Jean Dujardin) und Call-Girl Tamara (Elisa Dovati).

Oberflächlich, arrogant und stolz darauf: Octave (Jean Dujardin) und Call-Girl Tamara (Elisa Dovati).

(Foto: Foto: ddp)

Der französische Schriftsteller Frédéric Beigbeder, irgendwie ein sich selbst brillant vermarktendes Gesamtkunstwerk, hat sich Octave am Ende seiner Karriere als Werbetexter ausgedacht, als Helden seines Romans "39,90", an dem er sich selbst abarbeitete. Um ihn herum zählt die Verpackung mehr als der Inhalt, alles und jeder ist käuflich, und alle Macht gehört dem Gelde. Der Ohnmacht, die er empfindet, hat er nur die Anarchie entgegenzusetzen. Das war vor zehn Jahren.

Die Filmfigur Octave in Jan Kounens Verfilmung wirkt heute bitterer, schwermütiger als der Roman-Octave Ende der Neunziger - der predigte den Untergang einer Welt, in der alles ein Preisschild hat, in eine Aufbruchsstimmung hinein; heute ist der Film-Octave zwar immer noch komisch, aber er hat etwas von einem zynischen Nachrichtenkommentator, in seinem Frust über eine Gesellschaft, die er zu dem anstiftet, was sie auffrisst. Octave ist eine Art Konsumterrorist. Vielleicht erzählt "39,90" so im Jahr 2008 eine wesentlich ernsthaftere, verzweifeltere Geschichte von einer Welt, die sich mit solchem Irrsinn um sich selber dreht, dass sie ins Taumeln gerät.

Lesen Sie weiter auf Seite 2 über die Abenteuerreise durch die Wunderwelt des Kapitalismus.

Der Gucci-Revolutionär

Octave (den Jean Dujardin im Grunde als Frédéric Beigbeder verkleidet spielt), ist der Star in der Fabrik der Begehrlichkeiten, ein hochbezahlter Kreativer, der alle verachtet. Für ihre Dummheit, ihren Konformismus, ihre Geldgeilheit. Aber er spielt das Spiel selber mit - stellt sich blöder, als er ist, passt sich an die Wünsche der verhassten Kunden an, und das alles, damit die fürchterliche, verlogene Werbewelt seinen Prada-Koks-Nachtclub-Lebensstil finanziert. Der postmodernen Anything-goes-Mentalität, in der er groß geworden ist, ist er sich nicht mehr sicher; sie hat ihn aber viel zu sehr geprägt, als dass er sich zu irgendwas ernstlich bekennen würde.

Octave hat den Helden der amerikanischen Komödie dennoch einiges voraus, die Konsumwelt geißeln, deren Nutznießer sie sind, und sich dabei permanent als ihr Opfer gerieren. Dieser Irrtum ist auch Octave nicht ganz fremd, aber das Schöne an ihm ist, dass er sich dessen die meiste Zeit bewusst ist: Er ist oberflächlich, arrogant und prätentiös aus Verzweiflung; und manchmal geht ihm sein eigenes Selbstmitleid auf den Geist. Das erst macht ihn zu einer brauchbaren Filmfigur - ohne seine Selbstironie wäre er nur eine Karikatur, und das Satirische, Karikaturhafte ist das größte Problem von Jan Kounens Adaption.

Pompöser Albtraum

Der Film sieht großartig aus - eine virtuose Bilderflut, halluzinogen, rauschhaft wie das Dasein seines Helden, voller Hochglanz-Spezialeffekte, ein pompöser Albtraum. Aber ähnlich wie die Werbung selbst in aller Schönheit immer noch leer bleibt, hat "39,90" ein emotionales Problem: Octave müsste irgendwann mal irgendwas ernst meinen, um wirklich bewegend zu sein. Aber er inszeniert sich selbst als tragischer Clown. Der Film beginnt mit einem Falltraum, Octave, der sich von einem Wolkenkratzer stürzt, mit ausgestreckten Armen - der Jesus der Werbewirtschaft und seine Abenteuerreise durch die Wunderwelt des Kapitalismus.

Jan Kounen hat zuletzt die spektakuläre - aber leider erfolglose - Western-Comic-Verfilmung "Blueberry" gemacht. Sein "39,90" wirkt zwar auch noch ein wenig fragmentarisch, ist aber mehr als die Romanvorlage mit ihrer Werbespot-Struktur eine geschlossene Erzählung. Kounen übernimmt die Ästhetik der PR-Spots - der Sturz am Anfang in die verregnete Pariser Nacht, da wartet man geradezu darauf, dass er in einer Luxuskarosse landet; bei den Partys wartet man nur drauf, dass irgendwer die Campari-Flasche in die Kamera hält; eine comic-artige Höllenfahrt durch Florida am Schluss sieht aus wie ein Kreditkartenspot - im Film "39,90" geht es zu wie in einem Werbeblock. Er bleibt Beigbeder treu, im Geiste, muss dafür hier und da noch drauflegen. Die Realität hat die Satire längst abgehängt.

Der Roman war von Anfang an umstritten, Beigbeder wurde gleichermaßen zum zweitgrößten zeitgenössischen französischen Autor neben Houellebecq erklärt und ein aufgeblasener Scharlatan gescholten, als verkappter Moralist in Gucci-Klamotten - wobei noch zu klären wäre, ob Moralist wirklich besonders tauglich ist als Beschimpfung. Möglicherweise ist einfach beides richtig; und sowieso steht es ja genauso schon im Roman - ein Gucci-Revolutionär will Octave gern sein: Viva el Gucche.

Auf der Suche nach etwas, was man nicht kaufen kann, bleibt nur die Liebe. Als temporäre Erlösung, selbstverständlich. Octave hat sich in Sophie verknallt, und macht alles falsch. Da ist er wirklich rührend - wenn ihm, was er getan hat, plötzlich tatsächlich leid tut. Das ist die gegenteilige Emotion zu der Arroganz, hinter der er sich sonst versteckt, und sie macht ihn viel greifbarer als die Posen des Dandy-Revoluzzers.

Von nun an Nihilist

Octave ist und bleibt Beigbeders Alter Ego, muss in der Fiktion all dessen Albträume ausleben und den Zwiespalt ertragen, mit dem auch sein Schöpfer kämpft. 2002, als mit seiner Unterstützung die Kommunisten bei den Präsidentschaftswahlen eine Rekordschlappe erlitten, schrieb Beigbeder, der Pariser Dandy, er entsage "aller Hoffnung, allen romantischen Illusionen und allen Utopien. Von nun an bin ich Nihilist und dekadent . . . Ich werde mich auch nie mehr für andere Menschen interessieren. Ihr Glück, ihr Unglück ist mir von jetzt an gleichgültig." Das ist halb Gejammer, halb Pose, aber so kann einem ja nur zumute sein, wenn es einen eben doch interessiert. Beigbeder wird tun müssen, was Octave tut: Weitermachen, sich in Träume retten und ganz ruhig auf die Explosion warten.

39,90, F 2007 - Regie: Jan Kounen. Buch: Bruno Lavain, Nicholas Charlet, Frédéric Beigbeder nach Beigbeders Roman. Kamera: David Ungaro. Mit: Jean Dujardin, Jocelyn Quivrin, Patrick Mille. Alamode, 100 Minuten.

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