Neu im Kino: "Black Book":Herr Verhoevens Gespür für Provokation

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Feiste Nazi-Nacktheit und blondierte Schamhaare: Paul Verhoevens so lustvoller wie brutaler Film "Black Book" erzählt vom Überlebenskampf während des Naziterrors.

Fritz Göttler

Als es mit ihr zu Ende zu gehen droht, als ihre Kräfte schwinden und sie den Tod vor Augen hat, den ein heimtückischer Gegner herbeiführt, in ihrer Verzweiflung und Todesnot, besinnt sich Ellis, die tapfere Heldin dieses Films - sie greift nach einer Tafel Schokolade und stopft sie, Stück für Stück, in sich hinein. Das ist in der Tat die Rettung, bringt sie schnell wieder auf die Beine.

Eine bizarre und schaurige Szene, und nicht die letzte in diesem Film, der sich von Anfang an als Schaubudenstück gibt, im Geist der wilden Serials der dreißiger und vierziger Jahre. Ein politisches Panoptikum, das von den letzten Wochen der deutschen Besatzung in Holland erzählt, brutal und blutig, mit feister Nazi-Nacktheit und verklemmtem Untergrund-Heroismus. Ein Gemälde, wo die Not das Genie erschuf und der Zufall Helden. Wo die Menschen zum Rollenwechsel gezwungen werden, zum perversen Spiel mit der Macht, und dabei doch plötzlich Momente der Resonanz, der Liebe, des Glücks finden. Ein echter Verhoeven eben, man mag es oder man findet es zum Kotzen.

Amerika, Venedig, Heimat

Die blonde Ellis war einst die dunkelhaarige Jüdin Rachel, die auf der Flucht vor den Nazis in einer Widerstandsgruppe in Den Haag landet. Dort bringt sie, um zu überleben, aber auch aus Rache für ihre umgebrachten Angehörigen, ihr erotisches Kapital zum Einsatz. Verwandelt sich in eine blonde arische Chanteuse und wird im Besatzerhauptquartier mit offenen Armen empfangen.

Die Assoziationskette ist evident: Ah, Jean Harlow, Mata Hari, Greta Garbo... Liebe findet sie in den Armen des Hauptmanns Müntze, gespielt von Sebastian Koch, und um in seinem Bett nicht enttarnt zu werden, hat sie sich - Verhoeven pur! - sogar das Schamhaar blond gefärbt. Er merkt aber dennoch, was in ihr steckt.

Mit solchen Aberwitzigkeiten ist der Film gespickt, er lebt vom gar nicht korrekten Ineinander von Sex und Politik, von Lust und Moral, von intimen Momenten und knalliger Gewalt. Manches ist dramaturgisch zurechtgebogen, aber kaum etwas erfunden. Dass nach der Kapitulation die Besatzungstruppen den deutschen gefangenen Militärs weiter die Gerichtsbarkeit über ihre Leute überließen - selbst das bekam man beim Tod des Ex-Richters Filbinger bestätigt.

Auf dem Filmfestival in Venedig hat "Black Book" im Wettbewerb für ein wenig Befremden gesorgt; aber irgendwie hat man sich doch faszinieren lassen vom erfahrenen Provokateur Paul Verhoeven. Es ist der erste Film, den er wieder in seiner Heimat Holland gedreht hat - zum Teil auch in den Studios von Potsdam -, und unglaublich aufregend ist, wie er seine Erfahrungen in Amerika, in Hollywood reflektiert. Gerard Soeteman war wieder dabei, der viele Drehbücher geschrieben hatte mit Verhoeven, vor dreißig Jahren haben die beiden bereits sich für diese Geschichte interessiert.

Seite 2: Filmemacher Verhoeven als Nestbeschmutzer "in einer von Arschlöchern bevölkerten Welt".

Carice van Houten ist phantastisch als (meistens) blonde Ellis/Rachel - wie sie changiert zwischen Verletzlichkeit und rigoroser Routine, wie sich Bühnenprofi-Esprit und Widerstandsgeist überlagern in ihren Aktionen. Es ist nichts Zotiges in den Avancen von Ellis, so wie nichts zotig war in den Eskapaden in Verhoevens frühen holländischen Filmen, "Türkische Früchte", mit dem jungen Rutger Hauer, "Der vierte Mann", Geschichten voller Fleischlichkeit in der niederländischen Manier, von starken Obsessionen bedrängt, Krankheit, Einsamkeit, Tod.

Zwischen Licht und Dunkel, blond und brünett

Was die Vermengung angeht von Sex und Politik, die ist gar nicht so selten im Kino - ist zum Beispiel auch in "Das Leben der Anderen" von Florian Henckel von Donnersmarck entscheidend, die Franzosen haben auf ihrem Plakat - Ulrich Mühe mit seinem Kopfhörer, fixiert auf das Paar Gedeck und Sebastian Koch in hitzigster Umarmung - suggeriert, dies sei ein erotischer Thriller.

Verhoeven arbeitet in seinem Thriller mit klaren Silhouetten, aber darunter gibt es gute Deutsche und zwielichtige Niederländer. Man darf die dunklen Seiten nicht übersehen an den Heldenfiguren. Der Anfang zeigt Rachel, wie sie im Versteck die Besatzung zu überleben versucht, auf einem Bauernhof. Der Bauer schikaniert sie, und um ihren Teller Abendessen zu bekommen, muss sie Bibel-Passagen auswendig lernen und fehlerfrei aufsagen. Wenn die Juden nur auf die Worte Jesu gehört hätten, murmelt tadelnd der Bauer. Mit der Soße malt Rachel boshaft ein Kreuz auf den Brei in ihrem Teller - das ist ein Zeichen jugendlicher Revolte. Und ein böser Bezug zwischen Religion, Gehorsam, Konsum.

Darf ich dir meine Briefmarkensammlung zeigen?

Später liegt sie am See, hört im Transistorradio Schlagermusik, lässt sich von einem Segelboot aufgabeln. Als sie ein wenig später Müntze zum ersten Mal begegnet, im Zug nach Den Haag, lässt er sie in sein Briefmarkenalbum Einblick nehmen - er sammelt die Marken der Länder, die er erobert hat. Der Feldzug als Sammelaktion, diese unangenehme Assoziation bleibt, so menschlich und sanft er sich auch geben mag, an Müntze kleben.

Der Film ist ein Gegenheldenstück, der Kampf im Widerstand wird als eine pedantisch schmutzige Arbeit gezeigt, die Aktionen sind merkwürdig lustlos inszeniert und enden oft katastrophal. Und der Schrecken ist nicht vorbei nach der Befreiung, nun wird das Land erst wirklich zum Morast, was die Moral angeht, die Ressentiments, die Rachegefühle gegen Kollaborateure und Verräter. Eine Odelgrube, der Filmemacher als Nestbeschmutzer. Sein Film weist weit in die Zukunft hinein, in die Zeit des Palästinenserkonflikts und Abu Ghraibs.

Verhoeven gilt als Kraftmeier, als Mann für Exzesse, für Sex und Gewalt. Aber er ist auch ein großer Sensibler, und Verteidiger erheben sich für ihn an Orten, wo man sie nicht vermuten würde. Jacques Rivette lässt sich keinen Verhoeven entgehen, diese Filme, sagt er, "handeln vom Überleben in einer Welt, die von Arschlöchern bevölkert ist. Und das ist seine Philosophie."

ZWARTBOEK, NL/D/GB 2006 - Regie: Paul Verhoeven. Buch: Gerard Soeteman, Paul Verhoeven. Kamera: Karl Walter Lindenlaub. Mit: Carice van Houten, Sebastian Koch, Thom Hoffman, Halina Reijn, Christian Berkel. NFP, 142 Min.

© SZ vom 9.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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