Neu im Kino: "Bad Moms":Billig-Weißwein statt Bio-Essen

"Bad Moms" mit Mila Kunis im Kino

Schluss mit gutem Benehmen und zuckerfreier Kinderkost: Mila Kunis, Kristen Bell und Kathryn Hahn wehren sich gegen das Familienkorsett.

(Foto: Tobis)

In "Bad Moms" rebellieren drei entnervte Mütter gegen quälende Elternabende, grenzdebile Gatten und gesellschaftliche Zwänge.

Filmkritik von Doris Kuhn

Und dann ist es irgendwann einfach zu viel. Nicht nur, dass es an der Schule einen verdammten Kuchenbasar gibt. Nicht nur, dass der Druck auf alle Mütter, dort einen wunderbaren Kuchen beizusteuern, schon immer enorm ist, und alle Fragen - wer was wie warum - in Tausenden Stunden und Millionen besorgten Wortmeldungen durchdiskutiert werden mussten. Nein, dann wird auch noch ganz kurzfristig ein "Notfallmeeting" einberufen, verpflichtend für alle, und plötzlich steht die schlimmste aller Übermütter neben der amerikanischen Flagge auf der Bühne und wirft ein Schaubild der verbotenen Zutaten an die Wand: Kein BPA, kein MSG, kein BHA, kein BHT, kein Sesam, kein Soja, keine Nüsse, keine Eier, keine Milch, keine Butter, kein Salz, kein Zucker, kein Weizen, kein Gluten. Da sind wir uns doch alle einig. Oder nicht?

"Ich bin es so leid zu versuchen, die perfekte Mutter zu sein. Ich geb's auf."

Dies ist der Moment, in dem im Innersten einer Mutter etwas zerbricht. Wo man einen Schrei ausstoßen möchte, der selbst Edvard Munch das Blut in den Adern gefrieren ließe. Wo man sich mit Schaum vor dem Mund auf den Boden werfen und so lange mit den Fäusten trommeln will, bis man gänzlich darin versunken ist. Wo man sich kurz mal wünscht, nie Mutter geworden zu sein, oder zumindest niemals einer anderen Mutter begegnet zu sein, oder wenigstens niemals einer perfekten. Und dann atmet man tief durch und macht: nichts. Mütter tun so was nicht.

Bis jetzt. Denn jetzt gibt es den Film "Bad Moms", wo eine Mutter in dieser Situation tatsächlich einmal "Nein" sagt. Zwar erst nur ganz leise, eher zaghaft, aber schon da geht der Schock des Unerhörten durch die Reihen der Mütterversammlung. Und dann bricht es aus ihr heraus: "Ich bin es so leid zu versuchen, die perfekte Mutter zu sein. Ich geb's auf." Was dann der Beginn eines Kriegs werden wird, einer Befreiung und einer Bewegung, die nicht nur laute Lacher entfesselt, sondern reale Emotionen.

Denn der Druck, der rund um die Welt auf den Müttern lastet, ist ja echt. Kaum sind die ersten Wahrheiten ausgesprochen, gibt es jedenfalls bald kein Halten mehr. Amy, die Rebellin - Working Mom, zwei Highschool-Kids, grenzdebiler Gatte - flüchtet in die nächste Kneipe, an deren Bar sich zwei weitere Mütter einfinden. Damit ist das zentrale Trio des Films - verkörpert von den Schauspielerinnen Mila Kunis, Kristen Bell und Kathryn Hahn - beisammen.

Gemeinsam werden Schnäpse getrunken und alles ausgesprochen: was Frauen kennen, was Frauen wissen, was Frauen wollen- und dann steht der Plan fest: "Wir gründen die Bad Moms." Von jetzt an, beschließen die drei, werden sie aufhören, sich gut zu benehmen, egal ob im Elternbeirat oder bei ihren Kindern. Sie werden sich statt dessen dem Bösen widmen, oder vielmehr dem eigenen Vergnügen, das in ihrem Mütterdasein längst außer Sicht geraten ist.

Die Rebellion als Regel, nicht als Ausnahme

So ein Wunsch kollidiert natürlich mit der Mutterrolle, wie sie im Elternbeirat verlangt wird, denn dort dreht sich alles um die pädagogische Hingabe. Über die drei Abweichler ist keine der verschiedenen Elternfraktionen amüsiert, aber das kann die lustvolle Rebellion nicht stoppen. Nach der Kneipe wird ein Supermarkt gestürmt, trotz Trunkenheit so schnell und wild, dass das Bild schon in Zeitlupe umschalten muss, um den ganzen Überschwang sichtbar zu machen. Die drei Frauen brauchen dringend mehr Alkohol, Trashfood, eine Ritterrüstung, einen Schwertfisch und das Erröten des studentischen Aushilfspersonals, und genau das holen sie sich mit einer Slapstick-Nummer von artistischer Brillanz.

Jon Lucas und Scott Moore haben das Chaos schon in den "Hangover"-Filmen zelebriert

Jon Lucas und Scott Moore, die Regisseure und Autoren von "Bad Moms", sind gewissermaßen Experten der Entgrenzung - zuerst aber haben sie das mit den Männern durchgespielt. Als Autoren der "Hangover"-Filme rollten sie die Sache von hinten auf - da war der Wahnsinn bereits geschehen, die irrsten Substanzen eingenommen, der Gedächtnisverlust total. Anschließend ging es um Rekonstruktion - und darum, wie viele Tabus in der Nacht davor gebrochen wurden. Der Erfolg führte zu etlichen Fortsetzungen und irgendwann auch dazu, dass das Prinzip der Entgrenzung auf Frauen übertragen wurde. Immer allerdings war die Voraussetzung eine Ausnahmesituation: drei Tage Las Vegas, eine Hochzeitsfeier, wild gewordene Tiere und Menschenwesen, solche Sachen.

Der Alltag blieb außen vor, denn irgendwer musste die Welt ja am Laufen halten, die Kinder versorgen, den Dreck wieder wegräumen. Und das waren im Zweifelsfall die Mütter. Dass die Rebellion diesmal nicht bloß Ausnahme sein, sondern Regel werden soll, dass jetzt selbst die heilige Institution der Mutterschaft ins Visier gerät, ist der logische nächste Schritt. Mütter übernehmen Verantwortung für alles, sie müssen Antworten haben, Entscheidungen treffen, meistens spontan, möglichst klug, immer allein. Einsamkeit nistet in ihren betriebsamen Leben, so selbstverständlich, dass die Betroffenen kaum merken, wie sie um sich greift. Nur die Außenwelt sieht es und rümpft die Nase.

Die "Bad Moms" aber geben nun das Alleinsein auf - und verbünden sich. So könnten sie gut bei der Frauenbewegung landen, aber da dies eine Komödie ist, landen sie bei einer Frauenfreundschaft. Das verschwörerische Potenzial, das solchen Freundschaften innewohnt, bleibt dabei eng an der Realität. Man erkennt die Nähe, die entsteht, sobald Frauen einander ihren Kleiderschrank öffnen. Man sieht, wie sie ausgehen, nur um sich gegenseitig lustiger zu finden als alle Kerle in den Clubs. Und ein Penis-Ratgeber-Gespräch dient allemal der Befreiung, nicht zuletzt, weil die Schauspielerinnen weder waghalsige Dialoge noch die ordinäre Bewegung scheuen.

Natürlich kommt "Bad Moms" immer noch aus Hollywood. Der Film vergisst selbst im größten Trubel nie den sentimentalen Auftrag der Familienförderung. Er demonstriert regelmäßig, dass diese Mütter allesamt ihre Kinder lieben, Rebellion hin oder her, und flirtet allenfalls kurzfristig mit dem Gedanken, ihre Selbstbestimmung könnte eventuell genauso wichtig sein. Andererseits evoziert "Bad Moms" jede Menge Dankbarkeit: Wenn ein Film heutzutage behauptet, eine Party mit billigem Weißwein besäße mehr Verführungskraft für Mütter als eine Versammlung zum Bioessen in der Schulmensa, hört man die Botschaft wohl, allein es fehlt der Glaube, dass sich dies in der Wirklichkeit bewahrheiten würde. Aber deshalb nennt man Hollywood ja die Traumfabrik.

Bad Moms, USA 2016 - Regie: Jon Lucas, Scott Moore. Drehbuch: Jon Lucas, Scott Moore. Kamera: Jim Denault. Musik: Christopher Lennertz. Mit Mila Kunis, Kristen Bell, Kathryn Hahn, Christina Applegate, Annie Mumolo, Jada Pinkett Smith, Wanda Sykes. 100 Minuten. Tobis Filmverleih.

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