Neu im Kino: American Gangster:Heroin Nr.4

In seinem neuen Film liefert Sir Ridley Scott erneut eine großartige Analyse der amerikanischen Gesellschaft. Trotz aller Blutbäder muss man den Film als Komödie sehen.

Fritz Göttler

Immer wieder diese unglaublichen Momente der Ungläubigkeit, der Fassungslosigkeit, des perplexen "Das soll wohl ein Witz sein . . ." - der Film ist zum Bersten gefüllt mit ihnen. Meistens geht es dabei um unerwartete Grenzüberschreitungen, um die skandalöse Verletzung von territorialer Hoheit, oder einfach um neue geschäftliche Methoden, die so effektiv und simpel sind, dass man es gar nicht glauben mag.

Szenenbild aus dem Film "American Gangster" mit Denzel Washington und Russel Crowe

Mafia-Boss Frank Lucas (l, Denzel Washington) mit seinem Gegenspieler Detective Richie Roberts (Russell Crowe).

(Foto: Foto: dpa)

Der Film ist in diesem Sinne, radikaler als seine Genre-Vorgänger und -Vorbilder "French Connection" oder "Der Pate" oder "Goodfellas" oder "Scarface", ein Lob des amerikanischen Kapitalismus, seines dämonischen Unternehmungsgeistes, seiner brutalen und mörderischen Erfindungskraft.

Hier geht's zur Bildergalerie von "American Gangster".

Das soll wohl ein Witz sein, entfährt es einem Staatsanwalt, als Richie Robbins, der New Yorker Cop einer Drogen-Spezialeinheit (Russell Crowe), einen ganz besonderen Durchsuchungsbefehl verlangt - für eine Militärmaschine, inklusive den Särgen der toten G. I.s, eben gelandet aus Vietnam, benutzt um kiloweise Rauschgift ins Land zu bringen, bestes Heroin Nr. 4. Blue Magic nennt es der American Gangster Frank Lucas (Denzel Washington), wenn er es, nachdem es verschnitten wurde, von seinen Dealern unter die Leute bringen lässt.

Frank Lucas, kenne ich nicht, hatte der Richter irritiert reagiert - zu welcher Familie gehört der denn, er meint die Mafiagruppen, die sich die Stadt New York aufgeteilt haben. Keine Familie, erklärt Richie, Frank Lucas ist ein Schwarzer. Der Anwalt kann's nicht glauben: "Kein Nigger hat geschafft, was die amerikanische Mafia in hundert Jahren nicht schaffte." Und dann rutscht ihm in der Erregung gleich noch eine antisemitische Replik heraus.

Schmiergeld tatsächlich abliefern

Es sind gerade die ethnischen Strukturen der amerikanischen Gesellschaft, mit ihren rassistischen Implikationen, die den Kapitalismus in Schwung bringen, was der Brite Sir Ridley Scott mit ätzender Beiläufigkeit skizziert - er kennt New York aus den Sechzigern, als er gern bei Fotografen wie Richard Avedon oder Irving Penn studiert hätte, durch Harlem zog und Bilder vom Leben dort schoss.

Drogenhandel ohne die Mafia, da hatte schon der Heroinlieferant in Thailand runde Augen gekriegt, als Frank seinen Deal mit ihm machte, bei dem alle Mittelsmänner ausgeschaltet wurden, der Stoff durch Militärs eingeflogen wurde - sodass Frank Ware von doppelter Qualität halb so teuer wie die Konkurrenz verkaufen konnte. Es war die Zeit zwischen '69 und '75, als in den amerikanischen Städten Anarchie herrschte, weil die korrupten Drogen-Cops, die "Princes of the City", mit den Dealern zusammenspielten - weshalb einer wie Richie seine Kollegen völlig vor den Kopf stößt, wenn er einen Koffer mit sichergestelltem Schmiergeld tatsächlich abliefert.

Man muss den Film also, aller Brutalität, aller Blutbäder, seiner wirklich entsetzlichen ersten Szene zum Trotz, als eine Komödie sehen. Dass die Gangster sich gern mit den Insignien der bürgerlich-saturierten Kultur schmücken, ist ein bewährtes Moment, das bereits George Bancroft und James Cagney fest im Genre etablierten. Auch Denzel Washington kann es nicht ausstehen, wenn einer Glasränder auf den polierten Tischen im Salon hinterlässt, und er macht das mit blutigem Einsatz deutlich.

Hier geht's zum Kinoportal.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, warum das Tragen eines Pelzmantels ein Moment der Schwäche sein kann

Heroin Nr.4

Der pathologische Untergrund des amerikanischen Gangstertraums wird in solchen Augenblicken bizarr verdoppelt - es ist ein bürgerlicher Traum, und der Traum der Weißen. Die herrschaftliche Villa in New Jersey, die Frank mit seinen Dope-Millionen seiner Mutter und seiner Familie schenkt, hat eine Aura von Sklavenhalter-Herrlichkeit, und wenn die Familie überwältigt über den Rasen auf den Prachtbau zugeht, erinnert sie an die Zombies aus den frühen Filmen von Romero. Die Pointe des Kapitalismus, der sich immer wieder erneuert, indem der Unterdrückte seinen Unterdrücker ausmanövriert und seine Rolle übernimmt, zelebriert der Film genüsslich.

Frank Lucas' Lieblingsbuch

"Atlas Shrugged", Ayn Rands Apotheose kapitalistischer Philosophie, sei das Lieblingsbuch von Frank Lucas gewesen, erzählt Denzel Washington, der einen Nachmittag mit dem alten, aus dem Knast entlassenen Gangster verbrachte zur Vorbereitung auf die Rolle - aber das Gerücht, dass Frank gar nicht lesen konnte, kann er auch nicht wirklich entkräften.

Nicholas Pileggi, der die Vorlage lieferte für Scorseses "Goodfellas", hat Frank Lucas in den Neunzigern aufgespürt, auf seinen Hinweis hin hat Mark Jacobson einen Artikel im New York-Magazin über den Mann geschrieben, der die Vorlage lieferte für den Film. Inzwischen lästert Franks ehemaliger Konkurrent Nicky Barnes, im Film gespielt von Cuba Gooding Jr., wie schief und naiv hier ein Mythos inszeniert werde.

Um den Traum vom Paradies kreisen alle Filme von Ridley Scott, der sich im Luxus realisieren kann oder im einfachen Leben - und von seinem Gegenstück, den Herr-und-Knecht-Spielen der modernen Gesellschaft, durchexerziert vom "Blade Runner" bis zum "Gladiator". Denzel Washington wird nicht heimisch werden in der bürgerlichen Gesellschaft, auch wenn er seine cremefarbigen Dreiteiler trägt wie eine zweite Haut.

Regeln ad absurdum

Nur einmal wird er einen Moment der Schwäche zeigen, als er sich, beim Besuch des Frazier-Ali-Kampfes, von seiner Frau überreden lässt, einen Pelzmantel zu tragen, in dem er ausschaut, wie man sich einen schwarzen Zuhälter vorstellt. Eine Karikatur.

Mut zur Karikatur zeigt auch Russell Crowe, der Richie als überzeugten Proleten präsentiert, gedrungen und im knappen blauen Anzug, mit Wuschelhaar und Mittelscheitel. In seinem nächsten Film, dem Western-Remake "3:10 to Yuma", wird Russell Crowe auf die andere Seite wechseln, als ein gnadenloser Bandit.

Die beiden Filme machen das Paradox deutlich, nach dem die amerikanische Gesellschaft bis heute funktioniert. Dass gerade jene, die subversiv ihre Destabilisierung und Zerstörung betreiben, aus dem Glauben an das Land ihre Stärke beziehen, an die Regeln, die sie selbst ad absurdum führen. "This is America", murmelt Frank immer wieder, dies ist sein Land, er muss es wissen.

AMERICAN GANGSTER, USA 2007 - Regie: Ridley Scott. Buch: Steven Zaillian. Nach dem Artikel von Mark Jacobson im New York-Magazin. Musik: Marc Streitenfeld. Kamera: Harris Savides. Schnitt: Pietro Scalia. Mit: Denzel Washington, Russell Crowe, Josh Brolin, Chiwetel Ejiofor, Carla Gugino, RZA, Cuba Gooding Jr., Ruby Dee, Armand Assante. Universal, 156 Minuten.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: