Netznachrichten:Unterhaltsame Viren

Ein Computervirus bedeutet Ausnahmezustand, niemand bleibt davon verschont - das zeigen Angriffe immer wieder. Doch das war nicht immer so.

Von MICHAEL MOORSTEDT

Mitte der vergangenen Woche infizierte ein Computervirus die Rechner eines Krankenhauses im nordrhein-westfälischen Neuss. Bald war die Klinik komplett offline. Die Arbeit lief ab wie vor 15 Jahren, sagte eine Sprecherin, man musste sogar faxen! Ein Computervirus bedeutet Ausnahmezustand, niemand bleibt davon verschont, lautet mal wieder die Lektion. Doch das war nicht immer so.

Unter archive.org/details/malwaremuseum kann sich jeder Viren aus der Vergangenheit ansehen. Ganz ohne Gefahr natürlich, in einem Emulatorprogramm, das mit einem Mausklick gestartet wird. Die Programme stammen aus den Achtzigern und frühen Neunzigern. Der IT-Sicherheitsforscher Mikko Hypponen hat seine private Sammlung zur Verfügung gestellt. In ihrem kastrierten Status wirken die Viren von damals nicht wie Krankheitserreger, die das Netz zum Absturz bringen könnten, sondern eher wie digitale Outsider-Kunst. LSD.com verwandelt den sonst monochromen MS-DOS-Bildschirm in ein psychedelisches Farbenspiel. Wer sich ein Programm namens Marine.com eingefangen hatte, auf dessen Monitor segelte ein 8-Bit-Bötchen umher.

In den Kommentaren analysieren dann auch kundige Besucher die Eleganz des Codes mit einer solch professoralen Gravitas, wie man sie sonst nur bei Hobby-Kunsthistorikern vermuten würde. Der weit größere Teil der Faszination für das Malware Museum - das Internet Archive berichtet von Hunderttausenden Besuchern - ist aber wohl der Nostalgie zu verdanken. Der Erkenntnis, dass das Leben mit dem und im Internet damals sehr viel einfacher war, als noch nicht ganze Biografien und Bank-Portfolios online abgewickelt wurden.

Es ist erstaunlich, wie viel Sendungsbewusstsein die Virenautoren von damals hatten. Der Blasterwurm etwa wendet sich direkt an den Microsoft-Gründer. "billy gates" steht auf dem Bildschirm, wenn der Schadcode ausgeführt wurde, "warum lässt du das zu? Hör auf Geld zu scheffeln und repariere deine Software." Das Programm Coffshop.com hat dagegen eine simple Forderung: die Legalisierung von Marihuana. Dazu erscheint ein pixeliges Cannabisblatt auf dem Bildschirm. Die Viren wollten stören und verstören.

Früher war Hacking Teil der Gegenkultur. Das ist Geschichte

Der finnische Medientheoretiker Jussi Parikka sieht das Computervirus als notwendiges und unausweichliches Korrektiv zu den technologischen Kontrollmechanismen, von denen die Mainstreamgesellschaft immer abhängiger werde. Viren seien das weiße Rauschen unserer systematisierten Welt, schreibt er in seinem Buch "Digital Contagions: A Media Archeology of Computer Viruses". Und weiter: "Die Unordnung des Virus bedeutet nicht nur Anarchie, sondern bietet auch einen Raum für Variationen und Experimente, der sich der Einbahnstraßen-Ratio des Computers widersetzt." Computerviren betreffen eben nie nur Maschinen, sondern immer auch ihre Nutzer. Unvergessen die Schlagzeile des längst eingestellten Schundblattes Weekly World News: "Computervirus steckt Menschen an!"

Doch die Zeiten als Hacking noch Teil der Gegenkultur war, sind lange vorbei. Nicht umsonst, sagt Virenforscher Hypponen, stammten die meisten Viren, die er heute analysiert, entweder von professionellen Internetkriminellen - oder von Geheimdiensten. Wessen Rechner heute von einem Trojaner gekapert wird, der erhält meist eine biedere Notiz, die beschreibt, an welche schattenhafte Adresse er Geld überweisen muss, damit seine Daten wieder freigegeben werden. Sie könnten in ihrer Formelhaftigkeit auch von einem Bankinstitut stammen.

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