Netzkongress:Überleben im digitalen Sumpf

Netzkongress: Humanoide Roboter wie Nao mögen viele Aufgaben in der Gesellschaft übernehmen können. Denken müssen die Menschen aber schon selbst.

Humanoide Roboter wie Nao mögen viele Aufgaben in der Gesellschaft übernehmen können. Denken müssen die Menschen aber schon selbst.

(Foto: Matthias Kestel)

Im Volkstheater wird diskutiert, wie das Internet die Menschen und unsere Gesellschaft verändert

Von Jannis Brühl

Das Schöne an einer Rede von Evgeny Morozov ist, dass man danach vom Ballast jeglicher Hoffnung befreit ist. Der wohl größte Kritiker des Silicon Valley steht am Freitagabend auf der großen Bühne des Volkstheaters, hinter ihm die Projektion eines Einhorns, und hat seinen Zuhörern keine guten Nachrichten mitgebracht: "Die Wirtschaft ist dabei, zu kollabieren. Es tut mir leid, euch das mitteilen zu müssen." Nur Tech-Konzerne wie Google würden übrig bleiben. Menschen, die noch nicht von Robotern ersetzt worden seien, arbeiteten als freiberufliche Sklaven für Unternehmen wie Uber. Was Lösungen angeht, bleibt Morozov vage, aber auf ihn folgen ja noch viele Redner auf dem Netzkongress von Süddeutscher Zeitung und BR-Zündfunk.

Zum vierten Mal ist die Netzszene geladen, um über die digitale Gesellschaft zu reden, jenseits eines Startup-Marketinggeschwätzes. Im Foyer tapsen Besucher mit klobigen Virtual-Reality-Brillen auf der Nase umher und schlagen um sich, auf den Bildschirmen neben ihnen vollzieht eine virtuelle Hand mit Lichtschwert ihre Bewegungen nach. Ein paar Meter weiter hängt die schwarze Flagge des Chaos Computer Club, sie zeigt einen Totenkopf, der mit dem alten Zeichen der Bundespost verschmolzen ist. Auf den Bühnen wird diskutiert über das Netz, was es mit den Menschen macht und was die Menschen mit ihm machen sollten.

Morozov sieht also ein neues Zeitalter des Feudalismus durch die digitale Revolution anbrechen. Ein Zeitalter, in dem Staaten ihre Infrastruktur an Datenkonzerne verkaufen. Doch bevor die große Frage, die er stellt - "Wem gehört die Welt?" - beantwortet werden kann, muss erst einmal eine andere geklärt werden: "Geht's noch?" Denn im Netz ist Deutschland mit sich selbst beschäftigt. Mit Menschen, die Ausländer als Tiere beschimpfen, mit der Frage, ob Frauen mit islamischer Verhüllung in der Öffentlichkeit auftreten sollen, mit Hass-Postings, "Zensur"-Rufen und Solidaritäts-Hashtags.

Anna-Mareike Krause, Social-Media-Koordinatorin der Tagesschau, projiziert während ihres Vortrages ein eigentlich unschuldiges Foto an die Wand. Ihre Redaktion postete es am ersten sonnigen Tag des Jahres auf Facebook: Es zeigt einen der ersten Berliner Freibadbesucher in diesem Frühling. Weil der Mann im Wasser dunkle Haut hat, fühlten sich mehrere Nutzer eingeladen, die Kommentarspalte mit Beleidigungen zu füllen. Die Eskalation lauert überall.

Der Kulturkrieg, der die Atmosphäre vergiftet, tobt vor allem im Netz. Der Hass der Kleingeistigen von rechts wird oft mit Herablassung kosmopolitischer Autoren beantwortet. Die Aktivistin Kübra Gümüşay fordert auf der Bühne mehr Differenziertheit in der Debatte und mahnt, nicht aufzugeben: "Ich hab das Gefühl, ich putze und räume ständig hinter Rechtspopulisten her. Ich hab's satt, ich will den Ton selber angeben!" Die Publizistin Liane Bednarz schildert aus der Perspektive einer Konservativen, wie das Vokabular von Pegida - von "Lügenpresse" bis "Volksverräter" - schleichend das bürgerliche Milieu erreicht.

Konstruktiver ist der Vortrag von Karolin Schwarz und Lutz Helm. Auf ihrer Seite hoaxmap.org haben sie sich darauf spezialisiert, erfundene Geschichten über Flüchtlinge zu widerlegen, darunter solche wie: Dass Flüchtlinge so viel klauen, dass ganze Kaufhäuser schließen müssen, arme biodeutsche Pferde schlachten und natürlich von morgens bis abends Frauen belästigen. In der regionalen Verteilung der Gerüchte liegt Bayern übrigens sehr weit vorne, haben die beiden ausgewertet. Schwarz gibt zwar zu: "Manche Leute erreicht man nicht." Aber für den Streit mit Gerüchte-gläubigen Verwandten beim Weihnachtsessen könne man sich auf ihrer Seite durchaus vorbereiten.

Der Ton ist weniger dystopisch als im Jahr zuvor, als Besucher das Gefühl kriegen konnten, die Aktivisten im Netz hätten ihren Traum - eine bessere Welt durch ein besseres Internet - aufgegeben angesichts von NSA- und BND-Überwachung einerseits, der Dominanz von Facebook und Google andererseits. Doch die Wahrheit über das Netz ist viel komplizierter, wie sich zeigt.

Als Morozov die Bühne verlässt, läuft zwar R.E.M.: "It's the end of the world", doch dass der Liedtext nicht ganz ernst zu nehmen ist, zeigt das anschließende Panel. Laura Gehlhaar, die im Rollstuhl sitzt und über ihr Leben bloggt, erzählt, dass die positiven Reaktionen die beleidigenden Reaktionen immer übertreffen. Zu letzteren bringt sie souverän auf den Punkt, was jeder Internetnutzer stets bedenken sollte: "Hier und da kommen immer mal Idioten an und meinen, sich mitteilen zu müssen."

Hossein Derakshan, der bekannteste iranische Blogger, kritisiert in seiner Rede das Konzept des Streams, in dem Facebook Inhalte für seine Nutzer priorisiert: Die Algorithmen seien so geschrieben, dass Informationen den Menschen nur nach Popularität und Neuheit präsentiert würden statt nach Relevanz. "In diesen Kokons wird alles verstärkt, woran Sie glauben." Und: "Meinungen von Minderheiten werden zerquetscht." Doch gerade Menschen, die sich lange ausgeschlossen fühlten, wollen in den Chor der Pessimisten nicht mit einstimmen: "Im Internet fallen die Barrieren", sagt Michael Arriens, Blogger und Inklusionsaktivist mit Kleinwuchs, der neben Gehlhaar auf der Bühne sitzt. Zu viele Beispiele gibt es, von Apps, die barrierefreie Gebäude anzeigen bis hin zu Systemen, die Sprache und Umgebung für Blinde erkennen.

Die materiellen Fragen, die Morozov aufwirft, spielen dennoch immer eine Rolle bei der Debatte über technischen Fortschritt. Michael Arriens lobt die Prototypen, die es beispielsweise für Taubblinde gibt, aber er fragt auch: "Wer soll denn so eine bionische Hand bitte bezahlen?"

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