Netzkolumne:Ein Format, das Hirne versengt

Seit dreißig Jahren können Kurzvideos als "Gifs" gespeichert werden. Dabei war das Kompressionsverfahren für Standbilder entwickelt worden.

Von Michael Moorstedt

Ist es nicht eigentlich albern, den runden Geburtstag eines Dateiformats zu feiern? Nicht ganz, könnte man meinen, oder zumindest auch nicht mehr, als das Wiederaufleben von Vinylschallplatten zu bereden oder in unserer HD-Gegenwart die Ästhetik von VHS-Videos zu loben. Die Menschen hängen an ihren Speichermedien, ob diese nun digital oder analog existieren, ist ja eigentlich egal.

Zurück zum Jubiläum: Das Graphics Interchange Format, abgekürzt .gif, wird diese Woche 30 Jahre alt, ein biblisches Alter in der digitalen Sphäre. Die ultrakurzen Videos, die in dem Format abgespeichert sind, dienen mittlerweile als Vehikel für politische Satire ebenso wie für Werbekampagnen, in sämtlichen soziale Medien sind Gifs als visuelles Standardvokabular akzeptiert, jeden Tag werden .gif-Dateien milliardenfach auf Twitter und Facebook geteilt.

Man kennt sie als drei Sekunden lange Videoschleife. Ursprünglich war die Technologie für Standbilder gedacht.

Tatsächlich ist das Gif sogar älter als das Web selbst. Zwei Jahre bevor Tim Berners-Lee sein World Wide Web Project der Öffentlichkeit vorstellte, arbeitete der IT-Konzern Compuserve an einer neuen Methode verlustfreier Bildkompression. Damals war Speicherplatz rar und teuer. Das Gif erkennt mittels eines Algorithmus sich wiederholende Muster und vereinfacht diese.

Warum hält sich das Gif aber auch heutzutage so beharrlich, wo doch in Zeiten von 4-G-Mobilfunknetzen und Hochgeschwindigkeitsglasfaserkabeln die Notwendigkeit der Kompression längst nicht mehr gegeben ist und es sowieso bessere Speichertechnologien gibt? Doch das Gif ist ein aufständisches Format, es bietet maximale Verdichtung. Ein Popcorn essender Michael Jackson oder ein ernsthaft applaudierender Orson Welles transportieren nun mal mehr Subtext als die übliche SMS-Stenografie. Frustration, Ärger, Freude - für so gut wie jede Gefühlsregung findet sich ein passendes Mini-Video.

So ist das Gif 30 Jahre nach seiner Erfindung der vorläufige Endpunkt unserer Bildsprache. Angesehene Museen haben die Video-Loops in ihre permanenten Sammlungen aufgenommen, Gif war bereits Wort des Jahres des Oxford Dictionary, und Online-Gif-Bibliotheken wie Giphy werden mit Hunderten Millionen Dollar bewertet. Vielleicht aber beweist nichts besser den Erfolg des Gifs, dass ihm bereits vorgeworfen wird, schädlich für die Gehirne von Kindern und Jugendlichen zu sein. Diese könnten ja schon bald keinen klaren Gedanken mehr fassen, wenn alles mittels ultrakurzer Videoschnipsel kommuniziert werde, schrieb das Magazin Newsweek 2016. Aber das ist nun mal das Privileg einer jeden Generation - das gerade angesagteste Medium zu verteufeln. Hat schon Sokrates so gemacht. Ihm war die Schrift suspekt.

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