Netz-Depeschen:Unter der Tarnkappe

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"Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg" haben sich im Netz schnell 300.000 Menschen zusammengefunden. Aber geht es da auch mit rechten Dingen zu?

Michael Moorstedt

Mit dem Ausdruck der eigenen Meinung im Internet verhält es sich folgendermaßen. Sie ist schnell geäußert. Deshalb findet man im sozialen Netz auch für fast alle Belange Unterstützer- und Gegnergruppen. Eine von ihnen nennt sich prägnant "Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg". Seit ihrer Gründung vor anderthalb Wochen haben sich in ihr mehr als 300.000 Menschen zusammengefunden.

Gibt es wirklich so viele Menschen, die sich im Internet für Karl-Theodor zu Guttenberg einsetzen? Gegen den Verdacht der Fake-Identitäten wehrte sich der Gründer vehement. (Foto: dapd)

Uneinsichtigkeit ist im Netz eine Tugend, und so wunderte sich der Rest des deutschsprachigen Internets weniger über die erstaunliche Resistenz gegen Argumente, sondern vor allem über das ebenso erstaunlich schnelle Anwachsen der Befürworter-Schar. Bald wurde der Verdacht geäußert, es seien Fake-Identitäten am Werk. Der Gründer der Gruppe verneinte vehement, trotzdem blieb ein unangenehmer Nachgeschmack. Schließlich ist die Tarnkappe im Netz das bevorzugte Kleidungsstück.

Im Internet hat es eine lange Tradition, gefälschte Nutzeraccounts zu erstellen, um Produkte anzupreisen oder missliebige Haltungen niederzuschreiben. Astroturfing nennt man dieses Phänomen, das in der vergangenen Woche für Aufsehen gesorgt hat. Im Zentrum der Debatte steht das Unternehmen HB-Gary Federal, eine IT-Sicherheitsfirma, die vor allem als Dienstleister für die amerikanische Regierung arbeitet. Aaron Barr, der CEO, hatte sich in den Nachbeben der Cablegate-Affäre gerühmt, das "Anonymous-Netzwerk" unterwandert und deren Führungskreis identifiziert zu haben.

Die Aktivisten hielten Barrs Behauptungen zwar für ziemlich großen Unfug, nahmen die Herausforderung aber an. Sie knackten den Mailserver der Firma und veröffentlichten etwa 50.000 Dokumente. Ein Word-Dokument erregte dabei besonderes Interesse. Darin beschreibt Barr die Entwicklung einer "Persona Management Software", die das Astroturfing für Regierungen oder Unternehmen perfektionieren soll. Denn das Betreiben eines Fakes ist im Internet keineswegs einfach. Deshalb soll die Software auch eine reichhaltige Hintergrundgeschichte für die zahlreichen Synonyme schaffen, Profile bei Facebook oder Twitter erstellen, Links setzen und automatisch updaten.

Mit Hilfe dieser Software könnte ein einziger Nutzer problemlos Dutzende Identitäten betreiben. Gleichzeitig wäre es extrem schwierig, die jeweiligen Accounts als gefälscht zu identifizieren. Besonders pikant: Die US-Airforce scheint einen Auftrag zur Entwicklung einer ähnlichen Software ausgeschrieben zu haben. Zu deren Leistungsumfang solle es etwa gehören, dass ein User bis zu zehn dieser digitalen Marionetten steuern kann. Zudem solle durch den Einsatz von Virtual Private Networks und dem häufigen Wechseln der benutzten IP-Adressen eine Rückverfolgung erschwert werden.

Das ebenso massive wie gezielte Dagegen-Sein, mutmaßt das liberale Polit-Blog Daily Kos, soll vor allem progressive Graswurzelbewegungen im Keim ersticken. Im Internet müsse der Begriff Identität neu definiert werden, schreibt deshalb George Monbiot im Guardian. Ein ehemaliger Astroturfer habe ihn anonym kontaktiert und über das übliche Vorgehen in der Branche aufgeklärt. Als Teil eines mehrköpfigen Teams agitierte der Mann gegen Meinungen, die seinem Auftraggeber missliebig waren. Ein Knochenjob - er war für bis zu 70 Scheinidentitäten gleichzeitig verantwortlich.

© SZ vom 28.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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