Netz-Depeschen:Trend gegen Facebook

Immer mehr politische Gruppierungen wie Occupy versuchen, sich im Netz auf eigenen Plattformen zu engagieren - und sich damit nicht mehr "Faceboogle" unterwerfen.

Niklas Hofmann

Dass die Polizei in Boston, Massachusetts den Unterschied zwischen einem Nutzernamen und einem Hashtag nicht zu kennen scheint, das amüsiert die Netzöffentlichkeit nur am Rande. Auf der Liste von Nutzernamen zu denen Polizei und Staatsanwalt der amerikanischen Stadt vom Unternehmen Twitter zur Zeit per gerichtlicher Verfügung die Klarnamen einfordern, stehen nämlich auch einige jener Schlagworte, die bei Twitter als eine Art angehängter Betreff verwendet werden. Der Nutzer, den die Behörden eigentlich im Visier haben, ein Blogger, soll über die Kurzmitteilungen des Dienstes zu Aktionen des lokalen Ablegers Occupy Boston aufgerufen und illegal Polizeiinterna verbreitet haben.

Polizei fahndet bei Facebook

Bloß nicht Facebook: Politische Aktivisten wollen sich in neuen dezentralen Netzwerken koordinieren.

(Foto: dpa)

Zwar weigert sich Twitter bislang standhaft, dem Begehren nachzugeben - und der Betroffene wird auch von der Bürgerrechtsorganisation ACLU juristisch unterstützt. Ob sich eine Protestbewegung im Falle eines Falles aber darauf verlassen will, dass ein privates Unternehmen die Identitäten oder Kommunikationsflüsse ihrer Aktivisten schon schützen wird, das ist eine Frage, die sich für die Mitglieder der Occupy-Bewegung nun noch drängender stellt. Das Magazin Wired berichtete in der vergangenen Woche darüber, wie technisch versierte Aktivisten daran arbeiten, soziale Netzwerke zu schaffen, die es den Protestlern ermöglichen würden, sich statt über Twitter und Facebook in Zukunft auf eigenen Plattformen zu koordinieren.

Gar von einem "eigenen Facebook" spricht gegenüber Wired Ed Knutson, der an der Seite Global Square mitarbeitet, die offenbar noch im Januar online gehen soll. Während sie auch weltweite Bewegungen vernetzen soll, konzentriert sich ein weiteres Projekt namens Federal Generated Assembly nur auf die USA. Gemeinsam ist beiden neuen Netzwerken aber, dass sie allein auf Einladungen basieren sollen. Nur Freunde von bereits integrierten Mitgliedern könnten also neu aufgenommen werden. Das Band des Vertrauens zwischen einzelnen Nutzern und lokalen Netzwerken, in denen man einander von Angesicht zu Angesicht kennt, soll es dann auch ermöglichen, die bei Facebook und Google Plus verpönten Pseudonyme und alternativen Identitäten zu akzeptieren, ohne die Protestbewegung anfällig für Infiltration durch politische Provokateure oder verdeckte Ermittler zu machen.

Es sind bei weitem nicht die ersten Versuche, alternative, nicht kommerzielle Social Networks aufzubauen. Zuletzt warben noch in der vergangenen Woche auf dem Chaos Communication Congress Mitglieder des seit Jahrzehnten für Datenschutz in der Computerwelt kämpfenden Vereins FoeBuD für ihr Projekt "Social Swarm". Sie wollen ein dezentrales Netzwerk schaffen, "das den Titel 'sozial' auch verdient hat" und sich nicht den Geschäftsbedingungen von "Faceboogle" unterwerfen muss. Das bislang am weitesten fortgeschrittene und mit mehreren hunderttausend Mitgliedern erfolgreichste Alternativprojekt mit einem solchen Impetus ist das ebenfalls dezentrale und auf OpenSource-Software basierende "Diaspora", für dessen mit Spenden finanzierte Entwicklung sogar Mark Zuckerberg selbst Geld gegeben haben soll.

Noch aber gibt es wenige Belege dafür, dass Diaspora über die Nerd- und Geek-Szene hinaus größere Nutzergruppen erschließen kann. Vorerst sind die 99 Prozent, die die Occupy-Aktivisten vertreten wollen, eben doch unter den 800 Millionen Facebook-Nutzern zu finden.

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