Netz-Depeschen (86):Schulausflug ins Drogenmuseum

"Dröge, leicht gelangweilt und wenig fertil flätzt sich die Revolution in den Podiumssesseln": Der Blogger-Kongress in Berlin.

Niklas Hofmann

Er fühle sich wie bei der Eröffnung eines neuen Pontiac-Händlers, scherzte der Chefredakteur der New York Times, Bill Keller, als er kürzlich den Neubau eines kalifornischen Zeitungsverlags einweihte. Mit etwas mehr Selbstsicherheit müsste die Zukunft doch angepackt werden, wenn - wie jüngst in Berlin - mehr als 1500 Blogger zusammenkommen, die sich doch gewiss sein könnten, bei dem im Motto ihres Treffens ("Shift Happens!") verheißenen Kulturwandel auf der Gewinnerseite zu stehen.

Netz-Depeschen (86): Mehr als 1500 Blogger trafen sich vergangenes Wochenende im Berliner Friedrichspalast.

Mehr als 1500 Blogger trafen sich vergangenes Wochenende im Berliner Friedrichspalast.

(Foto: Foto: ddp)

Im Berliner Friedrichstadtpalast tanzte also Ende der vergangenen Woche statt des Fernsehballetts der Blogger-Kongress. Doch nach den drei Tagen im Dunkel des Revuetheaters (und der benachbarten Kalkscheune) ist in den Blogs vieler Teilnehmer von Euphorisierung wenig zu spüren, wenn sie das Gesehene und Gehörte reflektieren. Dafür herrscht vielfach das diffuse Gefühl, auf der Stelle getreten zu sein.

In der mikrobloggingseligen Gegenwart des Jahrs 2009 verortete sich die Konferenz vor allem durch die endgültig etablierte Ubiquität von Twitter. Die "Twitterwand" erlaubte es dem Publikum, hinter den Diskutanten auf dem Podium seine 140 Zeichen langen Kurzkommentare direkt auftauchen zu lassen.

Doch hat das Kommunikationsmittel Twitter die Debatte substantiell eher wenig bereichert. "Hätte ich einen Schulausflug, den eine Klasse ritalinresistenter Viertklässler ins Amsterdamer Drogenmuseum unternimmt, stenographieren müssen, es hätte einen größeren Erkenntniswert gehabt, als die Tweets zu lesen", fasste es der Blogger Malte Welding bei der Netzeitung zusammen.

Und vom Trendmedium Twitter abgesehen bleibt bei vielen Teilnehmern auch eine gewisse Ratlosigkeit darüber zurück, was die Veranstaltung 2009 eigentlich inhaltlich von ihren beiden Vorgängerinnen unterschied. Speziell von den Podien, auf denen sich an dem Verhältnis von Blogs und traditionellen Medien abgearbeitet wurde, kamen nicht wenige Besucher offenbar mit einem deutlichen Gefühl des Déjà-vu (in Bezug auf die Teilnehmer) wie auch Déjà-entendu (in Bezug auf deren Themen) zurück. "Dröge, leicht gelangweilt und wenig fertil flätzt sich die Revolution in den Podiumssesseln", höhnt etwa Tessa in ihrem Freitag-Blog.

Zwar standen große Namen der internationalen digitalen Szene wie der amerikanische Blogger Cory Doctorow von boingboing.net oder der Creative-Commons-Guru Lawrence Lessig auf der Rednerliste. Aber nicht jeder der Netzstars erwies sich in den Augen der Konferenzteilnehmer als Bereicherung. Jimmy Wales, der mutmaßlich am teuersten eingekaufte Redner, entsetzte mit seinem Vortrag selbst den nicht übertrieben nörgeligen Handelsblatt-Blogger Thomas Knüwer: "Keine Ahnung, was sich der Wikipedia-Gründer dabei dachte, bei einem Web-Kongress zu erzählen, was Wikipedia war - es war eine Unverschämtheit."

Wie erstaunlich orientierungslos in Berlin nicht nur die geladenen Macher alter Medien, sondern auch die deutsche Blogger-Elite vor der Aufgabe stand, den beschworenen Wandel zu einem Ende zu denken, bemerkte Don Dahlmann in seinem Blog: "Niemand negiert, dass der Wandel da ist, aber keiner weiß, was man mit ihm anfangen soll." Denn, so Dahlmann, das Problem sei "nur unzureichend damit beschrieben, wenn man von einem reinen Medienwandel spricht. Es geht deutlich tiefer, denn es geht um einen grundlegenden Struktur- und Gedankenwandel."

Zumindest für einen Referenten, der sich in Berlin diesen Fragen stellte, hatte das Netz aber auch am Tag eins nach der Veranstaltung fast nur Respekt übrig. "In was für einer digitalen Gesellschaft wollen wir leben?" war der so unterhaltsame wie anregende Vortrag des Autors Peter Glaser übertitelt, der auch in seinem Blog "Glaserei" nachzulesen ist. Er wünsche sich, sagte Glaser "in einer digitalen Gesellschaft zu leben, in der das Projekt der Aufklärung mit aller Kraft fortgeführt wird." Und weiter: "Natürlich ist nichts gegen einfachen Zugang zu Information einzuwenden. Aber allzu leichter Gewinn verdirbt die Freude am Spiel." Das wurde dann doch höchst beifällig betwittert.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: