Netz-Depeschen:Gefällt mir nicht

Ilse Aigner ist immer noch bei Facebook - das Unternehmen aber hat seine Vorstellungen von Privatsphäre noch einmal erheblich gelockert.

Niklas Hofmann

Auch die Ministerin kommt ja nicht von Facebook los. Mehr als einen Monat ist es her, dass Ilse Aigner in einem Offenen Brief an Mark Zuckerberg, den Gründer, Chef und Miteigentümer des sozialen Netzwerks mit der Löschung ihrer Profilseite gedroht hatte, sollte beim Datenschutz nicht erheblich nachgebessert werden. Seither hat das Unternehmen seine Vorstellung von Privatsphäre nicht nur nicht im ministerialen Sinne korrigiert, sondern noch einmal erheblich gelockert. Ilse Aigners Profil aber ist noch immer online.

Daumen

Wer bei Facebook den "Gefällt mir"-Button bedient, gibt viel von sich preis. Hier der Daumen unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel.

(Foto: Foto: ddp)

Ein zunehmend einsamer Kampf

Die neueste Runde im Datenkampf hat Facebook Ende April eröffnet, als es alle persönlichen Informationen über Wohnort, Arbeitsplatz und Schulbildung zu "Verbindungen" erklärte, die obligatorisch öffentlich sein müssten. Das gilt auch für einen Teil der Nutzervorlieben, die durch den "Gefällt mir"-Button angezeigt werden. Besonders heikel wird es aber durch die neuen Gemeinschaftsseiten, die die Summe der Verbindungen der Facebook-Nutzer abbilden sollen. Auf der Gemeinschaftsseite "CIA" erscheinen dann alle Mitteilungen, in denen dieses Akronym auftaucht, und zwar selbst wenn man bewusst keine "Verbindung" zum US-Geheimdienst eingegangen ist. Auch Ilse Aigner wurde schon eine solche Gemeinschaftsseite verpasst.

Für viele Amerikaner scheint damit eine rote Linie überschritten worden zu sein. Einen "zunehmend einsamen Kampf" in Sachen Privatsphäre führe Zuckerberg, konstatiert das Blog des Magazins Atlantic Monthly. Vier demokratische US-Senatoren haben Zuckerberg einen Brief geschrieben, und Korrekturen an den jüngsten Änderungen verlangt. Zugleich rief Senator Chuck Schumer die Handelsaufsicht der Federal Trade Commission dazu auf, allen sozialen Netzwerken verbindliche Regeln für den Umgang mit Nutzerinformationen aufzuerlegen. Die Behörde wird sich zudem mit einer am Mittwoch eingereichten Sammelbeschwerde von Verbraucherorganisationen befassen müssen.

Bei Wired.com erklärte Ryan Singel Facebook zur Schurkenfirma und forderte vehement die Entwicklung einer offenen Alternative, um das offensichtliche Bedürfnis nach Vernetzung zu befriedigen.

Der Groll gegen Zuckerberg, der Einwände gegen seine Datenpolitik gerne nonchalant beiseite wischt, rührt auch aus einem Gefühl der Täuschung. Denn viele frühe Facebook-Mitglieder gingen noch zu Recht von einem wirklich "persönlichen" Freundesnetzwerk aus. Auf einer anschaulichen Grafik des Software-Entwicklers Matt McKeon, die zur Zeit im Netz die Runde macht, ist gut nachzuvollziehen, wie seit 2005 Profildaten oder Freundeslisten ganz sukzessive nicht mehr nur einer überschaubaren Gruppe von Freunden und Freundesfreunden, sondern dem gesamten Internet zugänglich gemacht worden sind.

Die Nutzer seien in überwältigender Mehrheit begeistert von den Neuerungen, behauptet hingegen der Facebook-Chefentwickler Ethan Beard im Interview. Diese Art von Verteidigungslinie, höhnte es aus der bissigen Kommentatoren-Community von Gawker.com prompt, habe sich Facebook wohl bei der katholischen Kirche abgeschaut. Kritiker haben für den 6. Juni zu einem Tag Facebook-Abstinenz aufgerufen. Wie viele der bald 500 Millionen Nutzer sich daran beteiligen mögen? Sich dem Netzwerk wieder zu entziehen fällt nicht leicht, das geht nicht nur Ilse Aigner so. Selbst unter Ryan Singels Philippika bei Wired prangt Facebooks "Gefällt mir"-Button.

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