Netz-Depeschen:Fehler 404 - Seite nicht gefunden

Facebook, Twitter, Google+ und Blogging: Das Leben findet online statt, bei manchen Menschen auch bevorzugt. Doch das Internet ist flüchtiger als Schiefertafel und Papier. Wie kann man diese digitale Welt archivieren?

Michael Moorstedt

Im 21. Jahrhundert ist das Museum für Altertum ein ziemlich moderner Ort: Vitrinen und Schautafeln sind ja so was von gestern. Auf hochauflösenden Bildschirmen erfindet der Mensch mal wieder das Rad, erkennt sich im Spiegel und wirbelt seine DNS durcheinander. Interaktive Touchscreens und 3D-Animationen sollen den Menschen die alten Tage ausgerechnet durch die neue Technik nahebringen. Um die Vergänglichkeit der Gegenwart kümmert man sich allerdings nicht.

Blogs sind netzkultureller Trend

Die Website ist allgegenwärtig - und doch gefährdet. Wer ewig speichert, wird auch vergessen müssen. Gerade erleben wir im Internet einen schleichenden Gedächtnisverlust.

(Foto: dpa)

Der unermessliche Output des Internets wird zum Beispiel nicht kuratiert. Für viele Menschen sind Webseiten längst das bevorzugte Mittel der Realitätskonstruktion. Doch sie sind flüchtiger als Schiefertafeln oder säurefreies Papier. Die Website ist allgegenwärtig - und doch gefährdet. Im Zeitalter des ewigen Speicherns und der allgegenwärtigen Redundanz erleben wir gerade den schleichenden Verlust dieser Kulturtechnik. Man legt Lesezeichen im Browser an, vernachlässigt die lang geplante Lektüre, und plötzlich heißt es: Fehler 404 - Seite nicht gefunden.

Die Vergänglichkeit der digitalen Welt wurde zum Beispiel vor zwei Jahren deutlich, als Yahoo den Hosting-Service Geocities abschaltete, und mit einem Schlag die Erzählungen und Erinnerungen von mehr als 30 Millionen Menschen aus dem Internet verschwanden.

Die Aktivisten des Internet Archive konnten nur einen Bruchteil der Daten retten. Aus jenen 650 Gigabyte erstellte der niederländische Informationsdesigner Richard Vijgen einen Film. "The Deleted City" ist ein Rundgang durch das Mittelalter des Internets, und die Sedimentschichten aus Nullen und Einsen kommen uns ähnlich fremd vor wie die längst verschütteten Friedhöfe, auf die man bei Kanalarbeiten in deutschen Innenstädten immer wieder trifft.

Auf welche Art und Weise kann man die Hinterlassenschaften des frühen Internets präservieren? Auf dem Londoner Kongress Internet Week Europe präsentierte das Projekt "Digital Archeology" in der vergangenen Woche nun "zehn Websites, die die Welt verändert haben." Es sind große Worte, die Kurator Jim Boulton da anführt. Er geht, eventuell ein bisschen alarmistisch, sogar davon aus, dass die Website, so wie wir sie kennen, in gerade mal zehn Jahren verschwunden sein wird.

Nun wird gerade in der digitalen Umwelt gerne mal diesem oder jenem Ding ein vorschneller Tod prophezeit. Doch die Befürchtung ist berechtigt. Das digitale Heim ist verwaist. Denn die Homepage, durch die sich die Menschen früher im Netz ausgedrückt haben, wird immer mehr auf die Server von Twitter, Facebook oder Google+ ausgelagert.

Naturgemäß drückt sich auf der vorgegebenen Matrize der sozialen Netzwerke Kreativität anders aus als auf einer selbstgestalteten Website. Die Cloud ist zwar komfortabel, sie nivelliert aber auch die Individualität ihrer Nutzer. Hier sind zunächst mal alle gleich, sie unterscheiden sich nur noch durch den geposteten Input. Der ist aber im Prinzip auch allen Kommunikationsteilnehmern zugänglich.

Boultons Auswahl zeigt eine Hochgeschwindigkeitszeitreise durch die Geschichte des WWW. Darunter "The Project", die erste Website im eigentlichen Sinne, die 1991 von Tim Berners-Lee programmiert wurde. Die Besucher sehen die ersten Flash-Animationen ebenso wie eines der ersten E-Zines: Gerade im Zeitalter des boomenden App-Markts macht das 1995 gestartete word.com deutlich, wie sehr sich die Idee vom Publizieren im Internet geändert hat.

Es ist vor allem - und bereits das ist kaum noch vorstellbar - der Blick auf ein beinahe komplett unkommerzielles Web. E-Commerce galt den meisten Unternehmen damals noch als unseriöses Wagnis, auch sonst gab es kaum eine Firma, die eine Dependance im Netz besaß. Doch die digitalen Archäologen haben nicht nur die alten Websites zum Leben erweckt, sondern auch die Hardware, für die sie ursprünglich konzipiert wurden. Und so summt in London auch die originale NeXT-Workstation, auf der das Web einst zum Leben erwachte. Sie gehört dringend in ein Museum.

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