Netz-Depeschen (83):Es lebe der Kapitalismus

Für Noam Chomsky ist die Philosophin Ayn Rands "eine der bösartigsten Figuren der modernen Geistesgeschichte" - doch im Netz wächst die Fangemeinde der Predigerin des Eigennutzes.

N. Hofmann

Zu den wohl überraschendsten Gewinnern der Wirtschaftskrise dürfte der US-Verlag der Schriftstellerin und Philosophin Ayn Rand zählen, der großen Predigerin des Eigennutzes. Die in Europa wenig gelesene Autorin, von Noam Chomsky als "eine der bösartigsten Figuren der modernen Geistesgeschichte" bezeichnet, hat in Amerika immer eine solide Anhängerschaft gehabt. Ronald Reagan gehörte zu den Bewunderern ihrer "objektivistischen" Lehre von radikalem Individualismus und Kapitalismus ohne Beschränkungen, genauso wie Alan Greenspan. Doch seitdem selbst dieser für die Nationalisierung von Banken eintritt, hätte man eigentlich annehmen können, Rands Ideen würden etwas schal wirken. Das Gegenteil scheint jedoch der Fall zu sein.

Im Januar verkaufte sich Rands Roman "Atlas wirft die Welt ab" beim Internetbuchhändler Amazon zeitweise besser als Barack Obamas Buch "Hoffnung wagen". Der britische Economist zeigt in einer Grafik, dass Rands Verkaufszahlen in den vergangenen Monaten immer dann sprunghaft anstiegen, wenn in Washington staatliche Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft ergriffen wurden. Zwar hatte Rand immer eine so treue, wie elitäre Gemeinde im Netz. Der Guardian etwa weist darauf hin, dass "im Internet eine ganze Parallelgesellschaft chattet, bloggt und ihre eigene Datingagentur betreibt." Letztere vermittelt unter dem Namen "Atlasphere" Ayn Rands Jüngern Kontakte.

Aber seit Barack Obamas Amtsantritt haben einflussreiche Lautsprecher unter den konservativen US-Bloggern wie die giftige Michelle Malkin, "Instapundit" Glenn Reynolds oder seine Ehefrau "Dr. Helen" Ayn Rand zu ihrer Galionsfigur und "Go Galt!" zu ihrer Parole erklärt. John Galt, die Hauptfigur aus "Atlas wirft die Welt ab" führt einen Streik von Unternehmern, Erfindern und Kreativen gegen die Knechtung durch eine sozialistische US-Regierung an, der diese am Ende in die Knie zwingt. Durch Arbeitsverweigerung soll nun auch Obamas Wirtschaftspolitik bekämpft werden. Websites wie "Goingjohngalt.org" schießen aus dem Boden. Und der republikanische Kongressabgeordnete John Campbell sieht das Szenario von "Atlas" schon Wirklichkeit werden: "Die Leistungsträger, die Menschen, die all die Dinge schaffen, von denen wir anderen profitieren, gehen in den Streik."

Ein Teil der traditionellen Rand-Gemeinde wendet sich angewidert von der Go-Galt-Bewegung ab. Andere, wie Yaron Brook, der Direktor des Ayn Rand Institute versuchen den Strom der Google-Anfragen nun auf eigene schnell hochgezogene Blogs und "Spezial-Websites" zu lenken. Der letzte Mut zur randianischen Revolution scheint den konservativen Protestlern dann aber abzugehen, wie die politisch linke Bloggerin Hilzoy spöttisch anmerkt. Deren Weblogs seien schließlich alle noch online, und auch John Campbell habe sein Mandat noch nicht zurückgegeben. Von Streik keine Spur.

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