Netz-Depeschen:Das Netz hat kein Mitleid

Während die einen noch gegen Googles Streetview rebellieren, teilen andere im Internet gerne ihre Fitnessgewohnheiten und Kreditkartenbelastungen.

Michael Moorstedt

Das Internet ist ein vergleichsweise mitleidsloses Medium, diese Tatsache ist inzwischen bekannt. Und so durften die vier Mastercard-Inhaber auch nicht auf Anteilnahme hoffen, als ihre Kreditkartennummern und die zugehörigen Transaktionen (Starbucks, Tankstelle, Hotelzimmer) am Freitag auf den Trefferlisten von Google erschienen waren. Denn nicht finstere Hacker waren für den Daten-Dammbruch verantwortlich, sondern die Inhaber selbst. Genauer: ein soziales Netzwerk, dessen Servern sie ihre Informationen anvertraut hatten.

Netz-Depeschen

Vier Nutzer des Netzwerkes

Blippy

speicherten dort Kreditkarten-Belastungen - und konnten sie am nächsten Tag bei Google finden.

(Foto: Foto: dpa)

Die totale Offenlegung

Auf Blippy, so der Name des Dienstes, notierten die Betroffenen Belastungen ihrer Kreditkarte. "What are your friends buying?", heißt es auf der Website im neugierigen Ton des Web 2.0. Der Nutzen? Unbekannt. Durch einen Fehler gelangten die Daten nun für alle Welt und vor allem Google auslesbar in den Quellcode der Website. Blippy, gestartet Ende 2009, dürfte nur ein vorläufiger Höhepunkt sein. Denn Sharing, also das Teilen von Informationen, Gedanken und Daten war schon immer Sinn und Zweck des sozialen Netzes. Und während deutsche Gemeinden noch gegen Googles Streetview rebellieren und deutsche Early Adopter auf der Netzkonferenz re:publica diskutieren, warum man zwar in der Halböffentlichkeit einer Sauna auf seine Privatsphäre verzichtet, draußen auf der Straße aber vehement auf ihren Schutz pocht, wartet bereits die nächste Start-up-Garde auf die totale Offenlegung der Nutzerdaten.

Sei es Foursquare, das immer und überall Auskunft über den Aufenthaltsort seiner Anwender geben will. Oder sei es die iPhone-Applikation Sleep Cycle, die die Schlafgewohnheiten ihrer Nutzer überwacht und die Ergebnisse bei entsprechender Einstellung automatisch an das soziale Netzwerk sendet. Die App Skimble hat einen ähnlichen Zweck, nur verbreitet sie Informationen über Fitness-Gewohnheiten und Kalorienverbrauch. Und auf der Website Dopplr speichern und veröffentlichen die Nutzer sehr detailliert ihre Reisedaten.

All diese Dienste haben noch eine vergleichsweise geringe Nutzerbasis - 750 000 sind es bei Foursquare, 125 000 bei Blippy, die Downloads von Sleep Cycle bewegen sich im unteren sechsstelligen Bereich. Kommunikationsverhalten, Aufenthaltsort und Konsumgenom - drei große Variablen, die den sozialen Graphen bestimmen, auf dem der moderne Mensch durch sein Leben schlingert. Viel perfider als dieser Avantgarde-Exhibitionismus sind jedoch schleichende Entwicklungen, die für die Mehrheit der Nutzer unbemerkt vollzogen werden. So stellte Facebook auf seiner Entwicklerkonferenz f8 vergangene Woche das Projekt Open Graph vor. Das offene Protokoll soll die Verbindungen zwischen Menschen, Daten und Dingen über mehrere Webseiten ermöglichen und sichtbar machen. In letzter Konsequenz wird so das gesamte Internet zu einem sozialen Netzwerk.

Die Menschen, sagte Facebook-Gründer Mark Zuckerberg Anfang des Jahres, legten heutzutage nun einmal weniger Wert auf Privatsphäre, und daran müsse sich seine Firma eben anpassen. Vergangenen Mittwoch sagte er, Open Graph sei der stärkste "Anstoß zur Veränderung, den wir dem Web je gegeben haben". Ob wir es also nun wollen oder nicht: Das totale Teilen hat gerade erst begonnen.

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