Neon:Jetzt geht's los

Von der Kunst, älter zu werden: Die neue Zeitschrift Neon

Bernd Dörries

(SZ vom 21.6.2003) - Eigentlich machen sie einen ausgeglichenen Eindruck. Michael Ebert, 28, und Timm Klotzek, 30, sind höflich und symphatisch, drücken sich gewählt aus, haben Freunde und das, was man Erfolg im Beruf nennt. Eigentlich eine feine Sache. Und dennoch scheint es in ihrem Leben etwas zu geben, was sie nachdenklich macht. "Eigentlich sollten wir erwachsen werden", haben die beiden in den Untertitel des Magazins Neon geschrieben, einem Ableger der Illustrierten Stern, der am Montag erstmals erscheint.

Für die Macher von Neon ist der Untertitel auch ein Test, ob man als Leser für ihr Magazin in Frage kommt, ob man sich in dieser Lebenssituation wieder erkennt. Franka Potente tat es und gab Michael Ebert das erste Interview nach zwei Jahren, in dem es genau darum geht, ums Leben, das sie umgeschmissen hat, weil sie Angst hatte, zu früh zu alt zu werden. Um den Abgleich von Realität und Erwartung. Um den feinen Unterschied des "eigentlich".

"Unsere Leser haben ihre Jugend hinter sich, fühlen sich aber noch nicht so", sagt Klotzek: "Und sie merken, dass ihr Leben nicht so aufgeräumt ist, wie es eigentlich sein sollte." Es sind nicht so sehr der immer noch ausbleibende Weltfrieden und andere soziale Unzulänglichkeiten, die da in Neon behandelt werden. Zumindest nicht in der handelsüblichen Form. Dafür gibt es schon genügend Anbieter. Aber es geht doch um mehr als den Schreibtisch, der immer noch nicht aufgeräumt ist, oder die Frage, welche Turnschuhe man tragen soll.

Es ist einerseits eine andere Sicht auf den Alltag, wie die Themen zeigen: Eine Phänomenologie des Umzugs und der Menschen, die man dabei trifft und auf die GEZ und wie man mit ihr klar kommt. In der Rubrik "Na, wie war ich?" erzählen Prominente über ihre Jugend. ("Doch, doch - Alice Schwarzer war auch mal jung", heißt es im Heft.)

Wenn es politisch wird, dann über einen persönlichen Ansatz: Neon-Redakteur Matthias Kalle schreibt darüber, wie es ist, wenn man merkt, dass der Satz von Churchill langsam immer plausibler wird: "Wer mit 20 kein Sozialist war, hat kein Herz. Und wer mit 30 immer noch Sozialist ist, der hat kein Hirn." Kalle stellt sich nun die Frage: Kann ich immer noch ein Linker sein und wenn ja wie?

Man muss aber nicht das ganze Heft unter dieser Adoleszenz-Folie lesen. Vieles ist einfach eine schöne Spielerei, Mythen werden entzaubert, Fakten geschaffen. Es ist ein ruhiger Galopp zwischen Rubriken, Fotos und den längeren Texten, zwischendrin trifft man alte Bekannte wieder: Nora Tschirner, Christian Ulmen, Charlotte Roche, den netten Menschen von Attac. Viel ist recht gefühlig, überschreitet aber nicht die Grenze zur Larmoyanz.

Zu lesen, wie da einer denkt, und nicht gesagt bekommen, wie man denken soll, war wohl auch schon ein Erfolgsprinzip des jetzt- Magazins, der wöchentlichen Jugendbeilage der Süddeutschen Zeitung, die viele Preise gewann, aber zu wenige Anzeigen, und die im vergangenen Juli eingestellt wurde. Der Hamburger Verlag Gruner + Jahr hatte daraufhin neben den ehemaligen jetzt-Redaktionsleitern Ebert und Klotzek noch einen großen Teil der alten Mannschaft übernommen und sie seit Ende vergangenen Jahres mit einer zehnköpfigen Redaktion in München an dem neuen 180-seitigen Heft arbeiten lassen. Für die Stern-Familie, in der Neon nun erscheint, ist es ein weiterer Versuch, jünger zu werden und die Leser anzusprechen, die bei den Anzeigenkunden so beliebt sind.

Dennoch sei Neon keine Fortschreibung von jetzt, sagt Ebert. Der Name stünde für Helligkeit, Deutlichkeit, Klarheit. "Wenn wir irgendwas rübergerettet haben, dann den Wunsch, ein glaubwürdiges Heft zu machen", sagt Ebert. Was sich geändert hat, ist das Alter der Zielgruppe: jetzt schrieb für 15- bis 25-Jährige, Neon hat den Rahmen um fünf Jahre nach oben verschoben. Das Magazin erscheint damit in einem Alterssegment, in dem sich die Mitbewerber ausschließlich auf entweder Männer oder Frauen konzentrieren: Glamour und Woman für die Mädels, FHM und GQ für die Jungs. Neon will für beide schreiben. "Wir sind das einzige Unisex-Magazin in dieser Altersgruppe", sagt Olaf Conrad, stellvertretender Verlagsleiter des Stern. Bis spätestens September will man dort entscheiden, ob Neon eine Zukunft hat, die erste Ausgabe ist ein so genannter "One Shot", ein Testballon. Wenn sich vom ersten Heft 70000 Exemplaren verkaufen, werde Neon wohl im monatlichen Rhythmus weitermachen, sagt Conrad. Die Anzeigenkunden hätten im ersten Heft 41 Seiten gebucht, und die Homepage hätten bereits täglich 50000 Menschen besucht.

Und dort im Gästebuch wird auch schon heftig über das Heft diskutiert, bevor es im Handel erschienen ist. Als Diskussionsbasis dienen vier Vorabtexte, und schon gibt es Fronten: Die meisten lieben das, was sie noch gar nicht richtig kennen. Die Beiträge der wenigen Gegner laufen darauf hinaus, was das alles denn überhaupt solle: Warum man nicht einfach erwachsen werde, anstatt andauernd darüber zu reden? In der Realität von Neon gehören sie dann wohl zu der Gruppe, die noch jung ist, aber eigentlich schon erwachsen.

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