Neo-Kons in der Literatur:Macht euch mal wieder locker, Jungs!

Es herrenmenschelt ganz mächtig. Junge deutsche Autoren flirten mit einem abgestandenen Konservatismus, der vor allem eines will: die Distanz zum Pöbel und den Nutzern des öffentlichen Nahverkehrs. Also zu uns.

JULIA ENCKE

Die Portemonnaies sind dünn, der Kontostand sogar verheerend, aber sich mit dem Pöbel gemein zu machen, ist natürlich unangenehm. Also fängt ein Teil der deutschen Öffentlichkeit an, der neuen Armut etwas abzugewinnen: Wenn wir schon verarmen, dann mit einer Haltung, die uns Respekt verschafft. Wer sagt, dass der Niedergang ein Unglück sein muss?

Neo-Kons in der Literatur: Ach, wir sind doch längst alle Kleinbürger geworden.

Ach, wir sind doch längst alle Kleinbürger geworden.

Wir sollten uns glücklich schätzen. Schließlich ist nichts schöner als das einfache Leben und die eigentlich Armen am Ende sowieso die Reichen.

Alexander von Schönburg, freier Journalist, Autor und Bruder der Fürstin Gloria zu Thurn und Taxis, hat ein Buch geschrieben über das Klassenbewusstsein und damit in kürzester Zeit die Spiegel-Bestsellerliste erobert: "Die Kunst des stilvollen Verarmens -- Wie man ohne Geld reich wird". Es ist ein unterhaltsames und natürlich ironisches Buch, in dem Schönburg, ehemals FAZ-Redakteur bei den Berliner Seiten, danach Autor auch für die Wochenenbeilage dieser Zeitung, erzählt, wie er nach seiner Kündigung bei der FAZ und in den verbleibenden Wochen seines Angestelltendaseins betont fröhlich im Büro erschien, penibel auf sein Äußeres achtete, sprich: jeden Tag eine Krawatte umband, um nicht den Eindruck zu erwecken, er hadere mit dem Schicksal.

"Als Verarmender", schreibt er, "gehört man einer Avantgarde an -- schließlich werden wir alle, wirklich alle, bald, und nicht in irgendeiner fernen Zukunft, deutlich ärmer sein als jetzt. Doch will die Kunst des stilvollen Verarmens gelernt sein. Ich finde es selbstverständlich, dass ich in einer Zeit wie dieser mit ein paar Ratschlägen aushelfe, wie man verarmt und sich dabei trotzdem reich fühlt."

Dass hier jemand ausnahmsweise nicht herumjammert, sondern die Krise weglächelt, ist noch ziemlich erfreulich. Über zweihundert Seiten zu lesen, wie man glücklich Verzicht leisten und trotzdem den Schein wahren kann, hingegen anstrengend. Denn darum geht es: um den Schein, um soziale Abgrenzung, um eine Haltung also, die es Schönburg erspart, sich mit denen gemein machen zu müssen, die dasselbe geringe Einkommen nach Hause tragen wie er (wenn man ihm glauben mag), nach der Kündigung aber auf keine "Upperwear-Partys" eingeladen sind und auch sonst ohne Geld einfach keine "gute Figur" machen.

"Die Kunst des stilvollen Verarmens" setzt sich gar nicht ab von den Reichen, von denen ständig die Rede ist. Sie distanziert sich vor allem von der Masse, die man im öffentlichen Nahverkehr trifft, von "Kleinbürgerlichen" und "Mediokren". Die Wiedergeburt des Dandys aus der ökonomischen Krise: Ein weiter Wurf ist das nicht, aber immer noch ganz heiter, verglichen mit dem, was noch kommt.

"Ach, wir sind doch längst alle Kleinbürger geworden", hat vor zwei Jahren der äthiopische Prinz Asfa-Wossen Asserate, Autor des Buchs "Manieren", in einem Interview mit dem Spiegel gesagt. "Wir sind ein Heer von Millionen von Menschen, die ans Malochen denken, sich ab und zu einen Urlaub gönnen und die im Grunde alle einer Schicht angehören, die weder befiehlt noch dient. Die, die sich tatsächlich von uns globalen Kleinbürgern unterscheiden, sind die wirklich Reichen. Die stehen sich am Frankfurter Hauptbahnhof nicht die Beine in den Bauch. Die fliegen mit ihrem eigenen Helikopter oder dem Privatjet."

Da der Deutsche seit jeher nichts für beschämender hält, als den Vorwurf, ein Kleinbürger zu sein, wie Asserate in den "Manieren" feststellt, gibt es nun aber ein Problem Und dieses Problem ist nicht von Pappe.

Es treibt eine Reihe von Konservatismen hervor, die unter jungen Menschen inzwischen so en vogue sind, dass man sich die Augen reibt: Die einen treten die Flucht nach vorne an, bekennen sich mit Inbrunst zur Sicherheit kleinbürgerlicher Verhältnisse, weil sie nicht zuletzt und immer noch ihre notorisch als blöd titulierten, unverbesserlich altlinken Eltern satt haben. Wie das kleine Mädchen aus der LBS-Werbung träumen sie davon, "Spießer zu sein". Die anderen, die mit Kleinbürgerlichkeit auch in Zukunft partout nichts zu tun haben wollen, ziehen eine Augenbraue hoch, geben sich als Dandy des 19. Jahrhunderts oder imitieren den kolonialen Lebensstil und gründen Zeitschriften wie das Magazin Der Freund.

Es geht um Distinktion, und diese ist eine rein ästhetische Haltung, keine Frage des Rückgrats oder der politischen Prinzipien, sondern -- und zwar: alleine -- eine Sache des Stils. "Gentlemen are requested to wear neckties" -- Die Herren werden gebeten, Krawatten zu tragen -- hieß es im letzten Herbst auf der Einladungskarte zur Premierenfeier von Der Freund in den holzgetäfelten Räumen im 19. Stock des Springer-Hochhauses, wo der Schriftsteller Christian Kracht aus den filmtheoretischen Schriften des nordkoreanischen Führers Kim Jong Il vorlas, um sogleich eine Stelle von Ernst Jünger anzufügen, die den Menschen, dieses "Gewürm", verhandelte.

Die Rebellion als ästhetische Formel kann gar nicht provokativ genug sein. Sie provoziert ohnehin nicht.

Wieder andere, wie der Journalist Ulf Poschardt in der Welt am Sonntag, fühlen sich mit dieser Form des ästhetischen "Geschmacksbürgertums", also in der "universellen Boutique", superpudrig wohl, verspüren allerdings die "Sehnsucht nach dem Anderen des Geschmacks": nämlich nach "Substanz".

Da Poschardt in den vergangenen Monaten nacheinander die "Tugenden der Eliten", "eine rationalistische, radikal aufklärerische, libertine, staatskritische, internationalistische, intellektuell unbestechliche, visionäre Linke" und schließlich das "liberale Bürgertum" zur Rettung des Landes aufrief, war aber irgendwann nicht mehr nachvollziehbar, was mit dieser "Substanz" wohl gemeint war.

Auch konservative, selbst reaktionäre Sehnsüchte können diffus sein. Und das nicht einmal zufällig. Wer weiß, woher der nächste Wind weht.

Mit dem alten Wertekonservativismus, der -- wie Joachim Fest und Wolf Jobst Siedler in der Zeitschrift Cicero -- selbst das "Verschwinden" des traditionellen deutschen Bürgertums beklagt, hat das alles wenig zu tun. "Sind Sie ein Konservativer, Herr Fest?" wurde Joachim Fest einmal gefragt.

"Ja", antwortete er, "auch wenn ich überall Leute heranrücken sehe, die sich plötzlich selbst als konservativ bezeichnen. In deren Gesellschaft fühle ich mich nicht so furchtbar wohl. Früher stand ich allein da, mit Ausnahme von Wolf Jobst Siedler, Johannes Gross und ein paar anderen. Damit ging es mir besser."

Und dann gibt es da noch Uwe Tellkamp, den Bachmann-Preisträger. Der hat in Sachen konservative Sehnsucht in diesem Frühjahr den Vogel abgeschossen, den "Eisvogel" nämlich, wie sein Roman heißt.

Er erzählt die Geschichte eines Wohlstandsjungen mit Vaterkomplex. Er heißt, oh ja, Wiggo Ritter und ist Philosoph. Da Wiggo leidenschaftlich den dunklen Dunst der deutschen Seele beschwört, wird er von seinem 68er-Philosophieprofessor rausgeworfen; er verliert also seine Anstellung an der Uni, was ja auch hart ist. Damit wächst nicht nur die panische Angst, "in die Sozialhilfe abzurutschen und damit endgültig als ein Deklassierter dazustehen".

Sondern vor allem das Ressentiment.

Nach einem erfolglosen Gang zum Arbeitsamt, nach zig gescheiterten Bewerbungen klagt Wiggo "das Land" an sowie, natürlich, die "abgehalfterte Linke und die Achtundsechziger".

Allerdings gibt es da nun Wiggos Freund. Der heißt Mauritz Kaltmeister, ein Name, den man wohl mit ähnlichem spitzen Mund aussprechen soll wie Wiggo Ritter, ein elitäres Bürschchen, ein Herrenmensch und rechter Revoluzzer. Mauritz nun will von Wiggos Gejammer nichts hören, sondern verlangt, dass er zur Tat schreitet, sprich einer elitären Terrororganisation namens "Wiedergeburt" beitritt, die im verrotteten Land "Führung, Ordnung und Sicherheit" schaffen will: "Die Demokratie ist die Gesellschaftsordnung des Mittelmaßes, des Geschwätzes und der Unfähigkeit, aus dem Geschwätz fruchtbares Handeln werden zu lassen. Nichts bewegt sich mehr! Die einzige Möglichkeit, nachhaltig etwas zu verändern, ist der organisierte Terror."

Irgendwann steht der Verfassungsschutz vor der Tür, und das Ganze endet im Totalfiasko.

Man hat Tellkamp gefeiert, weil er eine "schonungslose Gesellschaftanalyse" vorgelegt habe. Was ihn aber von den großen Gesellschaftsromanen, etwa denen des 19. Jahrhunderts, unterscheidet, ist, dass diesen ein ganzes Arsenal an Techniken zur Verfügung stand, die erzählerische Distanz einzogen.

Bei Tellkamp dagegen steht alles merkwürdig affirmativ da. Untergründig beschwört der Roman eine geraunte, ästhetisch verklausulierte Reaktion, die an die "konservative Revolution" der Weimarer Zeit denken lässt und riecht nicht zu knapp nach der Umkleide eines gewollten Herrenreiters.

Der Schnösel ist also zurück. Sein Rettungsanker: die Krawatte. Zum Lachen ist das schon, dass in Krisenzeiten der deutschen Halbjugend der Sinn recht grundsätzlich nach Stehkragen und Reaktion steht. Aber die Bübchen, die vom großen Aufräumen träumen und die verlotterte Mittelmaßrepublik von rechts aufrollen wollen, werden sicher keine neokonservative Revolution anzetteln. Macht euch lieber mal wieder locker, Jungs!

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