Nein zur gefilmten Selbsttötung:Beethoven, Bier und Suizid

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Die Fernsehästhetik nivelliert den Tod des Mr. Ewert zum TV-Ereignis für ein Massenpublikum. Sein letzter Atemzug dient dem ökonomischen Gewinnstreben eines Privatsenders - nicht der Aufklärung.

Bernd Graff

Nein, definitives Nein! Ein klareres Nein kann es gar nicht geben. Es ist die nicht zu überbietende Heuchelei, aktive Sterbehilfe abzufilmen, um sie unter dem Mäntelchen der Aufklärung vor ein Massenpublikum zu werfen. Es liegt nichts Aufklärerisches in der Großaufnahme eines Sterbenden, dem Beethovenklänge unterlegt werden.

Über nichts wird informiert, kein Leiden dieser Welt ist erklärt, wenn es zu Abendbrot und Bier in die Wohnzimmer geschwemmt wird, womöglich noch unterbrochen von Werbeeinblendungen. Wann endlich hört diese gnadenlose Heuchelei auf? Wann endlich wird klar, dass Fernsehbilder eines Privatsenders nur hergestellt werden, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzielen, damit die Quote und anschließend der Umsatz des Privatsenders stimmen.

Der bei seinem freiwilligen Sterben abgefilmte US-Bürger Craig Ewert, der gestern Abend für Quote bei dem britischen Privatsender Sky Real Lives sorgte, ist deshalb der ausgebeutetste Tote des noch jungen Jahrtausends. Denn Ewert ist bereits seit zwei Jahren tot. Er ruhe in Frieden!

Unfriede aber in die Köpfe der Macher und der jetzt derart informierten Öffentlichkeit!

Denn man muss immer wieder darauf verweisen und sich klarmachen, dass Fernsehbilder keine neutralen Abbildungen der Wirklichkeit sind, sondern künstliche Bilder. Und ganz offensichtlich sind die Bilder dieses Sterbens produziert worden, um sie zu zeigen. An das immer wieder erörterte Phänomen, dass Bilder keinesfalls passiv illustrieren, sondern aktiv wiedergeben, muss darum wieder erinnert werden. Denn wir sehen Bilder, die ihre Geschichte nicht abbilden, sondern erst erzeugen.

Die Implikationen dieser Ereignishaftigkeit in den Bildern muss man sich vergegenwärtigen: Die gelernte Ästhetik von Fernsehen nivelliert damit den individuellen Tod des Mr. Ewert zum nun ästhetisierten Ereignis für ein Massenpublikum. Sein letzter Atemzug ist aber nicht abstrakte Fernsehkost, sondern abgefilmt, um zum Bild zu werden, das die Augen von Rezipienten erreicht.

Hier werden also im mittelbaren Sinne ökonomisches Gewinnstreben, Wirtschaftsakte von Privatunternehmern sichtbar gemacht. Nein, es geht also nicht um ein moralinsaures: "So etwas darf man nicht zeigen", es geht darum, dass die tatsächlichen Motive dieser Bildakte verschleiert sind im talmihaften, beethovenuntermalten Emo-Kitsch eines individuellen Todes.

Andererseits: Nur die Selbsttötung des Amerikaners hat ihn zum filmischen Objekt werden lassen, sein Vorleben war nie telegen oder von kommerziellem Interesse. Insofern ist hier gezielt die letzte Station eines Menschen herausgegriffen und gezeigt worden, um Fensehbilder produzieren und senden zu können: eine gefilmte Eigen-Tötung als Quotenbringer. Und das gilt dann auch für das Anschauen solcher Bilder: Wer sich ihnen willentlich aussetzt, erfüllt die Reichweitenziele derer, die diesen Tod ausgeschlachtet haben. Die eigene Sensationslust sollte einem aber mehr wert sein, als Fernsehstationen für sich als Profit beziffern können.

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