Nazi-Kunstwerke von Schwabing:Geschichte eines Frevels

Gouache-Arbeit ´Löwenbändiger" von Max Beckmann

Der "Löwenbändiger" von Max Beckmann

(Foto: VG Bildkunst, Bonn 2013/dpa)

In München wurde ein Schatz gefunden, und die Behörden scheinen sich aufzuführen wie dessen neue Hüter. Es gibt jedoch weit mehr Geschichten zu erzählen als die vom wiedergefundenen Nazi-Schatz. Von der Enteignung jüdischer Künstler, Händler und Sammler bis zum letzten Aufbäumen der Geschichte des Dritten Reiches.

Ein Kommentar von Thomas Steinfeld

Von einem wiedergefundenen "Schatz" sprach das Magazin Focus, als es am Montag meldete, in einem Münchner Apartment seien 1500 Kunstwerke beschlagnahmt worden, die seit dem Dritten Reich als verschollen galten. Und um einen Schatz handelt es sich hier tatsächlich, in einem dreifachen Sinn: zum einen, weil es hier scheinbar um eine abenteuerliche Geschichte geht, in der eine moderne Höhle und ein als Sonderling auftretender alter Mann eine große Rolle spielen; zum Zweiten, weil angeblich ein paar beherzte Polizeibeamte auf die Spur gerieten, die zu diesem Schatz führte; zum Dritten, weil das gefundene Gut von einem unermesslichen Wert ist. Von mehr als einer Milliarde Euro ist die Rede. Aber da bislang nur ein sehr kleiner Teil des Konvoluts bekannt ist, könnte es sich, falls alle Werke je verkauft werden sollten, um einen viel höheren Wert handeln.

Von den vielen zweifelhaften Eigentumsverhältnissen, die das Dritte Reich bei seinem Untergang zurückließ, gehören die meisten der Vergangenheit an. Das gilt für preußische Rittergüter wie für "arisierte" Warenhäuser, für entgangene Rentenansprüche wie für Zwangsarbeit: Und wenn die Beteiligten auch wissen, dass es keine wirkliche Entschädigung für das erlittene Leid gibt, so ist doch Geld geflossen. Die Geschichtswissenschaft hat gearbeitet, und es ist Zeit vergangen, mehr als die sechzig Jahre, von denen der Romancier Walter Scott im neunzehnten Jahrhundert sagte, sie bildeten den idealen zeitlichen Abstand für einen historischen Roman.

Bei Kunstgegenständen gelten indessen andere Regeln: Jedes Verlangen nach Restitution eines während des Dritten Reiches geraubten, gestohlenen, abgepressten oder anderswie enteigneten Kunstwerks besitzt das Potenzial zu einem Skandal. Das liegt an der Kunst selbst, daran, dass jedes Werk einzigartig und unersetzlich ist und man, ironisch genug, ein Kunstwerk nie wirklich sein Eigentum nennen kann, was seinen Besitz umso begehrenswerter macht. Es liegt auch an der immensen Wertsteigerung, die Kunstwerke, vor allem die Kunstwerke der Moderne, in den vergangenen vierzig Jahren erfuhren. Und weil die Geschichte der modernen Kunst eng mit der Geschichte von jüdischen Künstlern und Kunsthändlern verflochten ist, kommt der massenhafte Betrug an diesen Menschen als besonderer Frevel hinzu.

In München wurde ein Schatz gefunden, und die Behörden scheinen sich aufzuführen wie dessen neue Hüter, was den Berliner Kunstanwalt Peter Raue bereits zu der Forderung bewegte, es sei nun unbedingt und sofort eine komplette Liste der gefundenen Werke zu veröffentlichen. Man befinde sich in einem laufenden Verfahren, heißt es dagegen von staatlicher Seite. Man könne daher der Öffentlichkeit nicht sagen, um welche Werke es sich im Einzelnen handle.

Die Auskunft klingt, als solle die Abenteuergeschichte noch um einige Kapitel ergänzt werden. Aber die Staatsanwaltschaft handelt richtig: Die Rechtslage ist kompliziert. Bei einem Teil des Konvoluts handelt es sich nicht um Kunst, die Privateigentümern entwendet wurde. Sie stammt aus der Ausstellung "Entartete Kunst", die veranstaltet wurde, damit das deutsche Volk sehe, welcher "Verfall" in seinem Namen hervorgebracht wurde. Zu diesem Zweck wurden viele Exponate aber Museen entnommen, befanden sich also nicht im Besitz von Künstlern, Kunsthändlern und privaten Sammlern.

Mehr als ein wiedergefundener Nazi-Schatz

Die Erklärung von Washington, die den Umgang mit dem "NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgut" regelt, ist für Museen bindend, nicht aber für Privateigentümer. Privateigentümer können also unter Umständen enteignete Kunst rechtmäßig besitzen. In dem Konvolut, das im Zolllager Garching verwahrt wird, befinden sich also nicht nur 1500 Bilder, sondern auch überreiche Materialien für Hunderte, wenn nicht Tausende juristische Auseinandersetzungen, die sich über Jahre und Jahrzehnte hinziehen werden.

Der Münchner Fund mag auf einen Zufall zurückgehen oder auf einen gezielten Hinweis. Aber es verbirgt sich viel mehr darin: eine Geschichte von der Aufwertung der Kunst in Zeiten des rasend sich vermehrenden Finanzkapitals; eine Geschichte des Frevels an jüdischen Künstlern, Händlern und Sammlern, der nicht vergehen will; eine Geschichte über den prinzipiellen Unterschied zwischen öffentlichem Eigentum und privatem Besitz. Und ein womöglich letztes Aufbäumen der Geschichte des Dritten Reiches gegen das allmähliche Verblassen einzelner Schicksale in der Historiografie. Wenn all diese Geschichten erzählt werden, sind sie unendlich viel größer als das Abenteuer vom wiedergefundenen Nazi-Schatz.

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