Naturkundler:Nicht nur Heu im Kopf

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Manche Naturkundler waren begeisterte Fans, wie Goethe, Rousseau oder da Vinci. Manche waren tapfere Einzelkämpfer. Stefano Mancuso würdigt sie alle, mit viel Verständnis für diesen wissenschaftlichen Masochismus.

Von Fritz Göttler

Es sind Heldengeschichten, die in diesem Band gesammelt sind, über die Entdeckungen auf dem weiten Feld der Botanik, Geschichten also, trotz der "Liebe" im Titel, in denen es jede Menge Unverständnis, Widerstände, Intrigen gibt, aber auch viel Beharrlichkeit, um sie zu ignorieren oder zu bekämpfen. George Washington Carver ist der erste dieser Helden, geboren 1864 auf einer amerikanischen Südstaatenfarm, Sohn eines Sklaven, aber er schafft das damals nahezu Unmögliche, beginnt als Schwarzer 1890 ein Universitätsstudium, geht 1897 ans neu gegründete Tuskegee Institute von Alabama, und bleibt dort siebenundvierzig Jahre, bis zu seinem Tod 1943. Er hat Dutzende landwirtschaftliche Verbesserungsvorschläge geliefert - bis hin zur vielgeschätzten Erdnussbutter. An der Vermarktung all dessen war er nicht interessiert, was das Vermarktungsgenie Thomas Alva Edison ziemlich nervte: "Carver ist eine Goldgrube", fand er, aber der Bursche lehnte Edisons großartige Deals regelmäßig ab.

Es ist ein ganz eigenes Verhältnis von Professionalismus und Liebe zum Objekt, das in Stefano Mancusos Buch aufblüht. Nicht ganz so glücklich, was die Vermarktung anging, war Ephraim Wales Bull, der die Concord-Traube züchtete, die jeder pries und nachzüchtete - und sein Geschäft damit machte. Bull blieb mittellos in der Nachbarschaft der Intellektuellen Emerson, Thoreau, Louisa May Alcott und Nathaniel Hawthorne hocken.

Am besten hatten es die nebenberuflichen Fans der Botanik und ihrer Metamorphosen - da Vinci, Goethe oder Rousseau, der im Gartenrausch schrieb: "Ich bin ganz vernarrt in die Botanik, und das wird alle Tage schlimmer; ich habe bereits nichts weiter als Heu im Kopfe und werde eines schönen Morgens selber als Pflanze erwachen ..."

Der allergrößte Held scheint Charles Harrison Blackley zu sein, der Sherlock Holmes der Heuschnupfenforschung, der kühl deduktiv eine nach der anderen möglichen Ursachen ausschloss - Benzoesäure, Kumarin, Gewürze, Ozon, Staub - und schließlich bei den Pollenkörnern landete. All das in einer endlosen, irgendwie masochistischen Reihe von Versuchen am eigenen Leib. So trägt er etwa Pollen von Alopecurus pratensis im Rachen auf: "Einige Minuten nach der Behandlung begann ein leichtes Brennen, und nach ungefähr einer halben Stunde waren die gesamten Rachenschleimhäute geschwollen. Auf das Brennen folge alsbald das Gefühl, als würde etwas Hartes, Eckiges die Kehle blockieren ..."

© SZ vom 21.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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