Naturkunden:Dem Wolf ins Auge blicken

Naturkunden: Petra Ahne: Wölfe. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2016. 144 Seiten, 18 Euro.

Petra Ahne: Wölfe. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2016. 144 Seiten, 18 Euro.

Kaum ein Tier hat solche Hassorgien ausgelöst, ist so grausam gejagt und getötet worden, kaum eines wurde mythisch so aufgeladen wie die Wölfe. Petra Ahne porträtiert dieses Tier in Geschichte und Gegenwart.

Von Harald Eggebrecht

Kaum ein Tier hat solche Hassorgien ausgelöst, ist so grausig gejagt, gefangen, gefoltert, vergiftet, zerrissen und geköpft worden wie der Wolf, für den Jahrhunderte lang und weltweit der böse Slogan galt: Nur tote Wölfe sind gute Wölfe. Kaum ein Tier ist auch so mythisch aufgeladen worden als blutrünstiger Werwolf, als feiges, hinterlistiges Monster, das es auf die Unschuld von Rotkäppchen oder der sieben Geißlein abgesehen hat. Selbst Ede Wolf aus Walt Disneys freundlich-komischer Menagerie trachtet noch nach Schweinchen Schlau und seinen leicht verführbaren Ferkelbrüdern. Doch denen hilft oft Edes Sohn, der "kleine böse Wolf", und erweist sich so als schon zivilisiert, während im Vater weiterhin die alten Triebe leben.

In der Reihe Naturkunden, herausgegeben von Judith Schalansky im Verlag Matthes & Seitz, hat sich die Journalistin Petra Ahne, Jahrgang 1971, dem Wolf draußen genähert, auch dem Wolf als romantischer Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer und als Sinnstifter für zivilisationsmüde Künstler wie die Pianistin Hélène Grimaud. Ahne hat also dem Wolf in uns ins grünlich-feurige Auge geblickt. Herausgekommen ist nicht so sehr eine Natur-, sondern eine Kultur- und Vorstellungsgeschichte, welche suggestive Rolle dieses Raubtier in der Fantasie spielt.

Ahne spürt beispielsweise den diversen Werwolf-Mystifikationen vom Mittelalter nach bis hin zu Himmlers "Werwolf" genannter Nazi-Guerillatruppe in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs. Im ursprünglich erzählten Rotkäppchen-Stoff aus dem französischen 16. und 17. Jahrhundert spielt ein schmucker Jäger, der sich in einen Werwolf verwandelt, eine erotische Rolle. Denn das Mädchen steigt nackt zu ihm ins Bett, muss dann allerdings zur Notdurft nach draußen: "Die Schnur, die er vorsichtshalber um Rotkäppchens Fuß bindet, macht es an einem Baum fest und läuft davon." Gegen dieses schlaue Mädchen wirkt die Kleine aus der Version der Brüder Grimm nur biedermeierlich brav.

"Es gibt Hoffnung für den Wolf. Sie besteht darin, ein Hund zu werden."

Man erfährt, wie radikal der Wolf als "Schädling" verfolgt wurde und in vielen Teilen der Welt noch wird, aber auch wie zwiespältig die Gefühle jetzt sind, da dank scharfer Schutzbestimmungen der Wolf auch in dieses Land wieder kommt und Rudel gründet. Da stehen dann Schäfer und Nutztierhalter voll Bitterkeit vor gerissenen Schafen und Kälbern und werden den Wolf verfluchen wie eh und je. Und es kehren auch die Urängste zurück, wenn man einem Wolf im Wald begegnen sollte, obwohl das Tier als extrem scheu gilt, außer es wäre tollwütig. Doch Petra Ahne gibt keine falsche Totalentwarnung, sondern stellt in ihrem so erfreulich fettfreien nachdenklichen Erzählton fest: "Manchmal töten Wölfe Menschen. Es ist trotzdem sicher, im Wald spazieren zu gehen. Mehr Eindeutigkeit ist nicht zu haben."

Man lernt Forscher und Enthusiasten kennen, die mit den Tieren einfach zusammen leben, erfährt von jenen Momenten, in denen die Berührung mit dem Wolf einer Erleuchtung gleich kommt, wie es Hélène Grimaud berichtet hat. Oder wie weit Wolf und Hund auseinander sind. Petra Ahne versteht es auch, etwa Alfred Brehms Darstellung des Wolfes als des üblen, hässlichen Bösewichts, prägnant und witzig auf den Punkt zu bringen: "Es gibt Hoffnung für den Wolf. Sie besteht darin, ein Hund zu werden." Jedenfalls wird jeder nach der Lektüre dieses Buchs eines haben vor dem Überlebenskünstler Wolf: größten Respekt.

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