Nachwuchsmusiker:Lyrik und Leidenschaft

Unter den Spitzengeigern der Welt überzeugt Augustin Hadelich durch leichtfüßige Genauigkeit und Emphase in seiner Aufnahme von Niccolò Paganinis "Capricci".

Von Harald Eggebrecht

"Schon als Knabe bin ich sehr pingelig gewesen, was Nebengeräusche, Mitklingendes und klangliche Heiserkeit betrifft." Augustin Hadelich, der 1984 in Italien geborene deutsch-amerikanische Geiger, sagt das mit einer bestimmenden Freundlichkeit, die keinen Zweifel an den Konsequenzen für sein Geigenspiel und Musikmachen lässt. Wer das Glück hat, diesem schlanken schwarzlockigen jungen Musiker zuhören zu können, wird ein Artikulationswunder erleben ganz im Sinne von Sergiu Celibidaches Credo: "Artikulieren heißt vermenschlichen." Hadelich spielt nicht einfach nach allen Regeln von Griff- und Bogentechnik perfekt, sondern er leuchtet jede Phrase aus, nimmt jede Zäsur, jedes "Komma", jede harmonische Rückung dergestalt wahr, dass aus jederart musikalischem Verlauf unmittelbar sprechende Musik wird.

Das Capriccio muss ein launiges, witzig-groteskes Gegenstück zur Formstrenge sein

Das zeigt auch seine gerade bei Warner Classics erschienene Gesamtaufnahme der 24 Capricci von Niccolò Paganini. Wer diese Stücke so souverän beherrscht, dass er sie einspielen kann, hat gewissermaßen die Regionen ewigen Schnees erreicht: Er ist an der Spitze angekommen. Diese 24 Charakterstücke werden meist sehr aggressiv auf Blitz, Stahlglanz und Geigenkraft hin ausgerichtet und wirken dann oft so, als seien sie eine Art höherer Fechtschule der Violintechnik, in der es kaum um den Geist von Musik geht, sondern vielmehr um das Training sportiver Geschicklichkeit. Dabei soll ein Capriccio doch gemeinhin ein launiges, witzig-groteskes Gegenstück zur Formstrenge sein - ob in der Kunst, Literatur oder eben in der Musik.

Nachwuchsmusiker: Eine Heifetz-Phase habe er nie gehabt, sagt der Geiger Augustin Hadelich, der in den USA schon zu den Klassik-Stars gehört.

Eine Heifetz-Phase habe er nie gehabt, sagt der Geiger Augustin Hadelich, der in den USA schon zu den Klassik-Stars gehört.

(Foto: Luca Valenta)

Augustin Hadelich bedauert diese einseitige Betonung des Etüdenhaften, das nur der "Verbesserung der Technik" verpflichtet sei. Er sieht vielmehr das Szenische, Theaterhafte in den Capricen. "Paganini war ja mit Rossini befreundet, seine Melodien sind dem Belcanto verpflichtet, und ich finde, dass auch der Rossini-Humor bei Paganini ein wichtiges, leider oft übersehenes Element in seinen Werken ist." Hadelich zeigt nun, wie sehr diese extreme, bis an den Rand des Wahnwitzes gesteigerte, dabei äußerst raffinierte Artistik einer hochoriginellen, beredsamen und gestaltenreichen Musik dient. Die kann nur entstehen, wenn man's so kann wie dieser außergewöhnliche Musiker.

Hadelich verfügt über das Geheimnis jener Ruhe, die das sorgfältige Strukturieren musikalischer Zeit erlaubt. Also wirkt auch rasende Geschwindigkeit wie etwa in der 5. Caprice nie verhetzt, klingt der Ton auch im Fortissimo immer gesungen, nie überdrückt oder gar brutal. Kein technisches Kunststück wird isoliert vorgeführt, sondern jedes entfaltet seinen Sinn innerhalb des jeweiligen Stückes. Also werden nicht diverse Stricharten wie Stakkato, Springbogensorten, Arpeggien, Bogenpizzikati und so fort in Dressur vorgeführt, sondern sie werden bei ihm unveräußerlicher Bestandteil des jeweiligen musikalischen Prozesses. Dementsprechend wird die Variationsfolge der 24. Caprice keine Revue geigerischer Schwierigkeiten, sondern wahrlich zu einer sich unwiderstehlich steigernden Tour vom Dunkel ins Licht.

Der junge Virtuose wirkt keine Sekunde wie ein Hexenmeister, als er auf die Bühne des wegen seiner klaren und tragenden Akustik immer beeindruckenden Konzerthauses in Dortmund leichten, zugleich achtsamen Schrittes kommt, wo er mit den dortigen Philharmonikern unter der Leitung von Dmitri Liss das Violinkonzert von Jean Sibelius probt und aufführen wird. Freundlich, leise, immer aufmerksam im Umgang mit Dirigent und Orchester setzt er an und lässt dem nahezu somnambulen Beginn des Konzerts jene Magie, die jeden verzaubern kann. "Dolce espressivo mezzoforte" habe Sibelius vorgeschrieben, so Hadelich. "Das darf nicht dünn, sondern muss sehr, sehr lyrisch und schön klingen, ohne Forcierung oder manieristische Faxen." Exaltationen und Ausbrüche kämen später noch genug. Doch auch dann behält der Geiger Konzentration und Präzision.

Manchmal scheint es, als beuge er sich über das Instrument, als wollte er keine Nuance, keine Klangschattierung, keine noch so feine Regung der Violine versäumen. Dieses Vorbeugen hat etwas Fürsorgliches, Behutsames, absolut Gewaltfreies an sich. Das gilt erst recht für Hadelichs partiturbezogenes Spiel aus symphonischem Geist. Hier tritt kein Ego-Solist auf, sondern ein sich stets seiner Funktion im Gesamtgeschehen bewusster Musiker.

Er betont, wie sehr er die Geige als Instrument des Lyrischen auch in heftigen, ausdrucksbesessenen Passagen, ob bei klassisch-romantischer oder neuer Musik, versteht. Das heißt, ständig die nötige Balance zu finden zwischen Bogenzug und Bogendruck. Die brauche er besonders für die Stradivari "ex Kiesewetter" von 1723, auf der er mit Erlaubnis der Stradivari Society of Chicago seit sieben Jahren spielen kann. "Ich muss sehr darauf achten, der Violine nichts aufzwingen zu wollen, da verweigert sie sich sofort." Sein wunderbar kraftvoller Ton ist durchmodelliert bis ins zarteste Pianissimo hinein. Hadelich trägt weder dick auf noch wird gesäuselt, er "formuliert" auf der tiefen G-Saite ebenso klar und unmissverständlich, wie er auf der hohen E-Saite nie schrillt oder schreit.

Hadelich hat seine Bogentechnik auf das Wesentliche, Unmerkliche, konzentriert

Früher klang sein Spiel insgesamt eher hell timbriert. "Doch das lag an meinem anfänglichen Umgang mit der Violine. Ich nutze inzwischen viel mehr die gesamte Bogenhaarfläche. Das gibt Sonorität und Fülle, aber ohne falschen Druck oder dickes Fett!" Er lacht und erklärt, dass ihn nicht wie manchen Kollegen die Sucht plage, stets auf der Jagd nach vermeintlich besseren oder bedeutenderen Geigen zu sein. "Mir ist es wichtig, in Ruhe alle Möglichkeiten eines Instruments, wie sie etwa in der 'Kiesewetter' schlummern, zu erkunden und auszuschöpfen." Vorbilder für sein so ungemein kantables, fließendes Spiel waren etwa der Italiener Uto Ughi, David Oistrach, auch Pinchas Zukerman wegen seines runden leuchtkräftigen Tons. Doch auch Christoph Poppen, Igor Ozim oder der Primarius des legendären Amadeus Quartetts, Norbert Brainin, beeinflussten ihn positiv. "Ich hatte aber keine Jascha-Heifetz-Phase; seine Art wirkt auf mich etwas aggressiv und tonlich schmal." Der Sohn eines deutschen Entwicklungshelferpaares, das von Ostafrika in die Nähe von Livorno zog, fiel schon als Knabe wegen seiner eminenten Begabung auf. Mit Geigen, Klavierspielen und auch Komponieren galt er rasch als Wunderkind. Durch einen Unfall 1999 wurde die Entwicklung jäh unterbrochen. Später, nach Wiederherstellung seiner Gesundheit, verließ er Deutschland und begann in New York gleichsam neu und unbehelligt von Wunderkind- und Unfallvergangenheiten.

An der renommierten Juilliard School studierte er nicht bei einem typischen Solistentrainer, sondern bei Joel Smirnoff, einst Primarius des Juilliard String Quartet: "Ich wählte ihn, weil er Kammermusik machte und ich ihn mochte." Vor allem habe Smirnoff seine Bogenhand in Ordnung gebracht. Auf dessen Kritik "Du spielst ja gar kein legato!" habe er alles, was zu groß, zu viel an Bogenbewegung war, reduziert: "Ich habe die Bogentechnik auf das Wesentliche, Unmerkliche konzentriert, damit ein ungestörter ruhiger Bogenfluss ohne Portatoeffekte entstehen kann." Beim Pastaessen erzählt Hadelich so unprätentiös und unaufwendig, wie er spielt.

Als er 2006 im Wettbewerb in Indianapolis siegte, ging es los. In den USA gehört er, der 2016 seinen ersten Grammy mit Henri Dutilleuxs Konzert gewann, längst zu den Topstars. Gerade wurde er zu "Musical Amerika's Instrumentalist of the Year 2018" gewählt, die englische Universität Exeter hat ihm im Dezember 2017 einen Ehrendoktortitel verliehen. Nun ist er dabei, Deutschland und Europa neu zu erobern.

In Dortmund zog er in den Proben und erst recht in der Aufführung mit Riesenatem die enormen Kantilenenbögen im Adagio des Sibelius-Konzerts aus und genoss deren Höhepunkt so emphatisch, als könne es kein Ende geben. Das Finale wurde zum mitreißenden rhythmischen Funkenstieben. Der zugegebene Bach-Satz machte endgültig klar: Augustin Hadelich ist einer der Großen des Violinspiels und wird es in Zukunft entscheidend mitbestimmen.

Augustin Hadelich: 7. März Ravensburg, 8. März München, 9. März. Neuburg an der Donau, 5. August. Salzburger Festspiele, 18., 19. und 20. Oktober München, 26. November Bamberg.

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