Nachruf:Wo das Haus steht, muss nicht Heimat sein

Nachruf: Silvia Tennenbaum, geboren 1928 in Frankfurt am Main, starb am Montag in Haverford bei Philadelphia.

Silvia Tennenbaum, geboren 1928 in Frankfurt am Main, starb am Montag in Haverford bei Philadelphia.

(Foto: oh)

Silvia Tennenbaum stammte aus Frankfurt, hier spielt ihr Roman "Straße von gestern". Gestorben ist sie in den USA.

Von Christoph Schröder

Im Jahr 2012 unternahm Silvia Tennenbaum einen Spaziergang durch ihre Geburtsstadt Frankfurt am Main. Vor dem Haus, in dem sie von 1934 bis 1936 lebte, blieb sie stehen und ging ein paar vorsichtige Schritte in den Hof. Sofort war eine Anwohnerin alarmiert: "Verschwinden Sie", rief sie in scharfem Ton. Erklärungsversuche prallten an ihr ab. Tennenbaum ging, ein weiteres Mal. Kurz darauf antwortete sie auf die Frage, ob es einen Ort gebe, den sie als Heimat bezeichnen könnte: "Das ist schwierig. Das Wort gibt es im Englischen nicht. ,Home' ist, wo mein Haus steht. Mein Haus steht in den USA. Aber die USA sind nicht unbedingt meine Heimat."

Im Jahr 1981 veröffentlichte Silvia Tennenbaum, geboren 1928, ihren Roman "Yesterday's Streets". Er erzählt die Geschichte der wohlhabenden jüdischen Frankfurter Familie Wertheim, die im Westend residiert. Die Familie steht für die große Zahl assimilierter und patriotisch gesinnter Juden, die nicht glauben konnten und glauben wollten, dass die Ideologie der Nationalsozialisten sich auch gegen sie richtete. "Straßen von gestern", so der Titel der Übersetzung, ist ein Gesellschaftsroman mit feinen Figurenzeichnungen und selbstverständlich ein autobiografisches Werk. 1936 reiste Silvia Tennenbaums Familie in die Schweiz aus; 1938 emigrierte sie in die USA. "Wir sind damals", so erinnerte sich Silvia Tennenbaum, "sozusagen in die Ferien gefahren und nie wieder gekommen."

Tennenbaum heiratete einen Amerikaner, der sich weigerte, mit ihr nach Deutschland zu fahren, und bekam drei Kinder. Sie studierte Kunstgeschichte an der Columbia University, arbeitete als Kunstkritikerin und schrieb Bücher. Ihr erster Roman, "Rachel, the Rabbis's Wife" (1978) verkaufte sich ausgesprochen gut; von ihrem zweiten Roman "Straßen von gestern" aber nahm zunächst kaum jemand Notiz. "Das Thema interessierte die Leute in den USA nicht", erzählte sie. Den deutschen Emigranten sei stets der Ruf vorausgeeilt, herablassend zu sein. Erst in den frühen 80er-Jahren kehrte Tennenbaum regelmäßig zurück nach Deutschland, hauptsächlich nach Frankfurt. Als 1996 im S. Fischer Verlag eine Taschenbuchausgabe von "Straßen von gestern" erschien, begann das deutsche Publikum auf den Roman aufmerksam zu werden. Ein großer Publikumserfolg wurde er allerdings erst 2012, als die Initiative "Frankfurt liest ein Buch" die Hardcover-Ausgabe bei Schöffling & Co. für zwei Wochen in den Mittelpunkt des Stadtlebens rückte. Silvia Tennenbaum, die das Lesefestival begleitete, sprach hinterher von den "schönsten Wochen meines Lebens."

In den USA stieß Tennenbaum, die sich selbst der politischen Linken zurechnete, immer wieder an Gesprächsmauern, wenn sie die Verlogenheit des politischen Establishments kritisierte. Mit Deutschland verband sie die Erinnerung, nicht aber die Gegenwart. Nun ist Silvia Tennenbaum im Alter von 88 Jahren gestorben.

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