Nachruf:Wie alles begann

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Früherziehung: Marvin Minsky ließ 1968 Computer mit Bauklötzen spielen. (Foto: MIT)

Zum Tode des Mathematikers Marvin Minsky, der den Maschinen das Denken beibrachte.

Von Andrian Kreye

Wenn man in den Achtzigerjahren das neu gegründete Media Lab am Massachusetts Institute of Technology besuchte, dann begegnete man fast zwangsläufig auch Marvin Minsky. Die durchweg sehr jungen Wissenschaftler am Media Lab sprachen immer sehr ehrfürchtig über den Mathematiker und Intelligenzforscher. Minsky hatte die beneidenswerte innere Ruhe eines Mannes, der schon viel herausgefunden, aber sich trotzdem damit abgefunden hat, dass die Forschung immer an irgendeinem Anfang steht, egal, was sie erreicht. Und was sich da unter seinem Schutz in dem nagelneuen Gebäude am Rande des Campus abspielte, war überwältigend: Informatik, Robotik und Soziologie bereiteten dort eine Zukunft vor, die heute Gegenwart ist. Und Minsky sagte den ungeheuerlichen Satz: "Bald wird es nicht mehr darauf ankommen, wie schnell ein Computer ist, sondern mit wie vielen anderen Computern er verbunden ist." Fast dreißig Jahre später ist das eine Binsenweisheit. Das Internet halt. Aber damals beherrschte sein Schüler Danny Hillis die Schlagzeilen, weil er ein paar Häuser weiter Parallelcomputer entwickelte, die superschneller waren, als alle anderen Computer ihrer Zeit. Für Minsky war das nur ein Mittel zum Zweck. Er hatte den Computern das Denken beigebracht, als sie noch reine Rechenmaschinen waren. 1950 war das, da konstruierte er in Princeton ein Gerät namens Snarc, das das Lernverhalten einer Ratte im Labyrinth simulieren konnte.

Für den Rest der Welt war das damals noch so etwas wie ein abstraktes Kunstwerk - ein Konstrukt aus zwei Metallplatten, auf deren Oberseite sechs Röhren über einem Unterbau aus Spulen und Drähten thronten, alles zusammen nicht größer als ein Radioapparat. Für Laien gab es da nichts zu sehen. Doch was Minsky aus diesen Stromkreisen herauslesen konnte, war so etwas wie das Erwachen eines Maschinenbewusstseins.

Heute gilt Snarc als erste lernfähige Maschine und Minsky als Vater der künstlichen Intelligenz. Er war auch einer der Väter des Internets, hatte das erste Labor für künstliche Intelligenz gegründet und dann eben das Media Lab. All das ging auf die Zeit im Universitätsstädtchen Princeton zurück, als er überlegte, was wohl wäre, wenn Maschinen so etwas wie einen Verstand hätten. Ob sie dann nicht alle möglichen Probleme lösen und irgendwann auch das Denken der Menschen unendlich verstärken könnten?

Die Mathematik ist für solche Überlegungen nur eine Art Sprache, die hilft, Visionen in die Realität zu übersetzen. Das war Marvin Minsky bald nach seiner Doktorarbeit ein viel zu begrenztes Feld. Er überlegte kurz, ob er Genetik studieren sollte (die war ihm nicht tiefschürfend genug), oder vielleicht Physik (die er nur mäßig interessant fand). Und beschloss dann, die Intelligenz selbst zu erforschen. "Das Problem war sozusagen hoffnungslos tiefschürfend", sagte er später in einem Interview. Sein Ziel formulierte er so: "Ich will Maschinen bauen, die denken können, weil sie verstehen, wie Menschen denken."

Dieser fast körperliche intellektuelle Hunger machte sich bei Marvin Minsky früh bemerkbar. Schon als Kind galt er als "vorlaut" und "neugierig" - beste Voraussetzungen für einen Wissenschaftler.

Für die Erforschung der Intelligenz gab es allerdings keinen klaren Weg. Also verschlug es ihn ans Massachusetts Institute of Technology, das TU-Pendant von Harvard in Cambridge. Schon damals konnte man dort so frei und radikal forschen wie nirgendwo sonst. Gemeinsam mit John McCarthy gründete er dort 1958 das Labor für künstliche Intelligenz.

Es war eine langwierige Arbeit, die damit begann, Computern und Robotern die einfachsten Fertigkeiten beizubringen, wie etwa, mit Bauklötzen einen Stapel zu bauen. Neben den Forschungen über künstliche Intelligenz wurden dort aber auch die Grundlagen des Software-Designs entwickelt. Später gehörte das "AI Lab" zu den Instituten, die den Vorläufer des Internets Arpanet konstruierten. Eine Art Nebenwirkung der Forschungen war ein Ideal der freien Information, die bis heute die Geisteshaltung der digitalen Kultur prägt und die das Internet als geistesgeschichtliches Utopia sieht.

Nach 1985 wurde Marvin Minsky dann mit seinem Buch "The Society of Mind" richtig berühmt, das er für ein breiteres Publikum schrieb. In dieser Theorie von der Gesellschaft des Geistes beschrieb er, wie Intelligenz als Summe von Interaktionen jeweils unintelligenter Agenten entsteht. Er geriet aber auch in die Kritik, weil er nicht nur versuchte, Computer nach dem Modell des menschlichen Denkens zu konstruieren, sondern im Umkehrschluss das menschliche Denken nach den Prinzipien eines Computers zu verstehen. Dabei wehrte er sich gegen die allzu schlichte Gleichung, das Gehirn sei ein biologischer Computer, die man ihm unterstellte.

In einem Gespräch mit seinem Schüler, dem Futuristen Ray Kurzweil, sagte er: "Die Evolution hat seit 400 Millionen Jahren Strukturen aufeinandergestapelt. Die Neuronen in unserem Hirn sind vielleicht dieselben wie vor 400 Millionen Jahren. Aber die Organisation der Neuronen ist ganz anders. Das Gehirn ist deswegen so etwas wie 400 verschiedene Computer. Und jeder arbeitet vollkommen anders. Deswegen ist es ein Fehler, nach gemeinsamen Grundlagen zu suchen. So können Sie vielleicht einen Fisch erklären, aber nicht, wie ein Mensch funktioniert."

In späteren Jahren nahmen Marvin Minskys Theorien immer philosophischere Züge an. Er suchte vor allem nach übergeordneten Mustern, mit denen die unzähligen geistes- und naturwissenschaftlichen Forschungsfelder bei ihren Untersuchungen des menschlichen Denkens und der künstlichen Intelligenz auf gemeinsame Nenner kommen könnten.

Am vergangenen Sonntag starb Marvin Minsky an den Folgen einer Hirnblutung in Boston. Er wurde 88 Jahre alt.

© SZ vom 27.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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