Nachruf:Verena Stefan ist gestorben

Nachruf: Verena Stefan wurde 1947 in Bern geboren und starb 2017 in Montreal. Ihr Buch „Häutungen“ (1975) war ein Hauptwerk der Frauenbewegung.

Verena Stefan wurde 1947 in Bern geboren und starb 2017 in Montreal. Ihr Buch „Häutungen“ (1975) war ein Hauptwerk der Frauenbewegung.

(Foto: Hanser Verlag)

Ihr Roman "Häutungen" von 1975 wurde ein Bestseller des Feminismus. Jetzt ist Verena Stefan 70-jährig gestorben.

Von Helmut Böttiger

Im Jahr 1975 veröffentlichte die 28-jährige Schweizerin Verena Stefan im Münchner Verlag Frauenoffensive den schmalen Band "Häutungen". Er wurde zu einem bis dahin unvorstellbaren Bestseller. Die Autorin beschrieb, wie der Blick des Mannes den Körper der Frau definiert und was damit auch sprachlich ausgelöst wird. "Häutungen" versuchte, dem etwas Anderes, Weibliches entgegenzusetzen: "Beim schreiben dieses buches, dessen inhalt hierzulande überfällig ist, bin ich wort um wort und begriff um begriff an der vorhandenen sprache angeeckt" - so lautet der erste Satz.

Bereits 1972 hatte Verena Stefan in Berlin, neben dem Studium der Soziologie und Vergleichenden Religionswissenschaften, die Gruppe "Brot und Rosen" mitbegründet, die sich gegen die "Machos" der 68er-Bewegung wandte. Die Gruppe trug erheblich dazu bei, dass die 68er-Bewegung künftig auch mit dem Feminismus zusammengedacht werden konnte. Der neue Typus des "Softie", der in der Folge entstand, verdankte sich der Breitenwirkung von Verena Stefans "Häutungen" - wenn sich ein Student in den Siebzigerjahren für eine Kommilitonin interessierte, kam er nicht umhin, sich erst einmal positiv zur Lektüre von "Häutungen" zu äußern, um eine Chance zu haben. Dass sich im neu aufkommenden "Softie" nur eine zeitgemäße Variante des alten "Machos" verbarg, hatte Verena Stefan allerdings bereits vorausgeahnt.

Seit 1998 lebte sie in Montreal, und von dort veröffentlichte sie 2007 den Roman "Fremdschläfer". Die Schweizer Bürokratie bezeichnete mit diesem Wort "Asylanten, die an einem anderen Schlafplatz als dem offiziell zugewiesenen angetroffen werden". Stefan bezog das auf ihr neues Leben in Kanada und lotete in diesem Assoziationsfeld auch ihre Krebserkrankung aus. Mit hoher Sensibilität folgte sie dem "Gewebe" der Wörter, verband das kanadische "nobody" mit dem "Kein-Körper". Dem Klischee einer harten Feministin entsprach Stefan keineswegs. 2014 erschien "Die Befragung der Zeit", mit diesem Buch verlieh sie ihren "Häutungen" eine historische Dimension: Es ging um ihren Großvater Julius Brunner, der in den Vierzigern als Landarzt Abtreibungen an notleidenden Frauen vornahm und deswegen in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert wurde.

Verena Stefan beschrieb sich als "Sprachwesen", das sich immer neuen Suchbewegungen vorwärtstaste: "Das Ich ist mit der Zeit, die flachgefallen ist, auch flach geworden, zweidimensional, ein Schattenriss." Im Alter von 70 Jahren ist sie jetzt in Montreal an Krebs gestorben.

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