Nachruf:Unsichtbarer Gigant

Nachruf: Unsichtbarer Gigant: Als Songwriter, Sänger und Pianist arbeitete Leon Russell unter anderem mit Jerry Lee Lewis, den Rolling Stones, Bob Dylan und Elton John.

Unsichtbarer Gigant: Als Songwriter, Sänger und Pianist arbeitete Leon Russell unter anderem mit Jerry Lee Lewis, den Rolling Stones, Bob Dylan und Elton John.

(Foto: dpa)

Als Songwriter, Sänger und Pianist arbeitete Leon Russell mit Größen wie Jerry Lee Lewis und Bob Dylan. Am Sonntag ist er in Nashville gestorben.

Von Karl Bruckmaier

Was für eine Erscheinung! Das lange, wirklich lange Haar. Der wallende, nicht enden wollende Bart. Die neugierigen, von Energie und Neugier und Lebenslust kündenden Augen. Einst sexy Universalwaffe des Popzirkus, dann Gandalf, weiser Magier. Und immer für eine Überraschung gut. Oder zwei. Was für ein unwiederbringlicher Verlust. Was für eine Gemeinheit, dieser Tod von Leon Russell. Der Pianist ragte aus einer anderen Zeit zu uns herüber; obwohl er nur 74 Jahre alt geworden ist, stammt er aus der Altsteinzeit der Rockmusik, als jeder Song ein Faustkeil, jeder neue Refrain eine weltbewegende Erfindung gewesen ist. Er hat unter Dinosauriern und im Urmeer gelebt; er hat von den Neandertalern des Gewerbes gelernt und ist mit den Riesen um die Welt gezogen, und man hatte den Eindruck, er genieße jeden Augenblick dieser Zeitrafferreise. Was wieder tröstet. Begonnen hat dieser Trip in Oklahoma, wo er bei der Geburt einen leichten Nervenschaden davontrug, der dazu führte, dass seine rechte Hand etwas langsamer reagierte als seine linke. Das mag sein Spiel geprägt haben, das einen südstaatlichen Drawl hatte wie sein Gesang, eine Art spannungsfördernder Verzögerung, wie man sie eher in New Orleans hört. Leon Russell trat bereits als Kind verbotenerweise in Nachtklubs auf, als Teenager dann in kalifornischen Bars, bald als Leihmusiker in diversen Fernsehshows. Immer wenn einer gebraucht wurde, der einen guten Song beisteuern konnte, der eine Band parat hatte, der die Krise meistern, den Laden schmeißen konnte, dann holte man diesen Jungen aus Oklahoma. Joe Cocker brauchte ihn, George Harrison holte ihn für das "Concert for Bangladesh", wo er plötzlich neben Bob Dylan Bass spielte; die Stones, Elvis Costello, die Beach Boys oder Elton John engagierten ihn, und in den Siebzigern reichte es gar für ein paar Hits unter eigenem Namen, etwa "Song for You" oder "Tight Rope". Dann trat der große Leon Russell ins zweite, ins dritte Glied zurück; er führte das Leben eines halbvergessenen Genies (mit eigenem Tourbus), und das fand am Sonntag im Schlaf, in Nashville, nach langer Krankheit ein wohl friedliches Ende. Nehmen wir dies als Trost und gedenken wir dieses unsichtbaren Giganten.

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