Nachruf:Unromantisch

Bernhard Lewis, angloamerikanischer Islamforscher

Einer der besten Kenner der islamischen Welt, aber nicht ihr bester Freund: Bernard Lewis (1916 – 2018) .

(Foto: Doris Poklekowski)

Einer der besten Kenner der islamischen Welt, aber nicht ihr bester Freund: Der Orientalist Bernard Lewis ist gestorben.

Von Moritz Baumstieger

Welche Spanne mittelöstlicher Geschichte das Leben von Bernard Lewis umfasste, zeigt ein Blick auf seine Lebensdaten: Geboren wurde der Historiker und Publizist im Mai 1916 in London, nur wenige Tage nachdem die Kolonial-Diplomaten Mark Sykes und François Georges-Picot den Nahen Osten zwischen Großbritannien und Frankreich aufteilten und damit Grenzen in den Wüstensand zogen, deren Willkür die Region bis heute nicht zur Ruhe kommen lässt.

Die Kriege und Krisen, die Kulturen und gesellschaftlichen Entwicklungen jener Gegenden, die mal als Naher, mal als Mittlerer Osten bezeichnet werden, wurden Lewis' Lebensthema. Als britischer Agent im Zweiten Weltkrieg, als Wissenschaftler in London, an der Sorbonne in Paris und ab 1974 in Princeton strebte er nach Erkenntnisgewinn, nach einem tiefen Verständnis des Islam und der vielen Sprachen und Dialekte, die in seinem Einflussbereich gesprochen werden. Lebenswegbegleitern zufolge fand sich Lewis in mindestens zwölf von ihnen zurecht. Wohl nur wenige andere westliche Wissenschaftler tauchten so tief in die islamische Geschichte und Gegenwart ein wie Lewis - und nur wenige zogen dabei so viel Bewunderung, aber auch Kritik auf sich wie der Sohn eines jüdischen Immobilienagenten und einer Hausfrau.

US-Außenminister Mike Pompeo kondolierte als einer der Ersten

Seine Überzeugung, dass die Armenier im Osmanischen Reich zwischen 1915 und 1917 zwar vielfach vertrieben und getötet, aber keine Opfer eines Völkermordes wurden, wurde Lewis oft als opportunistische Nähe zum türkischen Staat ausgelegt. Und für Postkolonialisten wie Edward Said galt Lewis als Paradebeispiel eines europäischen Orientalisten, der die westliche Dominanz aus der Ära des Lawrence von Arabien bis in die Jetztzeit verlängern will.

Obwohl Bernard Lewis ein großer Bewunderer der islamischen Hochkultur war, pflegte er ganz sicher keinen romantischen Blick auf die Religion, vor allem nicht auf den Aufstieg des politischen Islam: Schon Jahre bevor Samuel Huntington den Begriff berühmt machte, sprach Lewis von einem "clash of civilisations", 2007 warnte er, dass eine "dritte muslimische Angriffswelle" auf Europa zurolle, deren Schlacht auf dem Feld der Demografie geschlagen werde.

Sein umfassendes Wissen teilte Lewis zunächst in Hunderten Artikeln und über dreißig Monografien mit der Fachwelt, später in Bestsellern wie "Die Krise des Islam" (2003) auch mit dem Massenpublikum - und schließlich auch mit der politischen Elite in Washington. Lewis, seit 1982 US-Bürger, diente etwa George W. Bush als Berater, als sich der 2003 zur folgenreichen Invasion im Irak entschied.

In seinen letzten Lebensjahren erlebte Lewis noch, wie mit der Terrormiliz Islamischer Staat eine Kraft aufstieg, die kurzzeitig im Stande war, die in seinem Geburtsjahr gezogenen Grenzen von Sykes-Picot auszuhebeln. Doch als Lewis nun im stolzen Alter von 101 Jahren in Voorhees, New Jersey, gestorben ist, war auch der IS schon fast wieder Geschichte.

Einer der Ersten, die öffentlich kondolierten, war Mike Pompeo. "Ich schulde einen großen Teil meines Verständnisses des Mittleren Ostens seiner Arbeit" twitterte der neue Außenminister. Da Pompeo in der aktuellen Iran-Krise zu den Hardlinern gehört und die US-Politik gegenüber der Islamischen Republik gemeinsam mit John Bolton bestimmt, einer der maßgeblichen Kräfte hinter der Irak-Invasion von 2003, fassten einige Beobachter diesen Würdigung fast als Drohung auf.

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