Nachruf:Schwarzhumorig

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Sergio Pitol, geboren am 18. März 1933, gestorben am 12. April 2018. (Foto: Sergio Perez/AFP)

Im Alter von 85 Jahren ist der mexikanische Erzähler und Diplomat Sergio Pitol gestorben.

Von Ralph Hammerthaler

Schon seit Längerem lebte Sergio Pitol wieder in Mexiko, sehr zurückgezogen in der Provinzstadt Xalapa in der Region von Veracruz. Er las, er schrieb, er hörte Musik. Und er schaute gerne alte Filme an, die er auf Videokassetten zu Hause gestapelt hatte. "Wenn ich unter Hausarrest bleiben müsste, wäre mein Glück vollkommen. Ich arbeite bis zwei oder drei Uhr morgens. Dieser Lebensrhythmus, der einen, wie viele meinen, zur Verzweiflung bringen müsste, ist der einzige, den ich für erstrebenswert halte."

Das ist eine erstaunliche Aussage für jemanden, der viel in der Welt herumkam und, wie unzählige lateinamerikanische Literaten, lange Jahre im auswärtigen Dienst stand. Zuletzt war er Botschafter in Prag. Über seine Erzählungen hat er einmal gesagt, sie seien ein Logbuch, das seine Bewegungen verzeichne. In die erste Phase seines beruflichen Lebens fallen zwölf wilde Jahre, in denen er sich als Übersetzer durchschlug; er übersetzte aus dem Englischen, Russischen und Polnischen. Henry James zum Beispiel, Anton Tschechow oder Joseph Conrad. In der zweiten Phase liegt seine Laufbahn als Diplomat, sie umfasst sechzehn gebundene Jahre. Obwohl Pitol schon früh Erzählungen geschrieben hat, wurde er erst in der dritten, wiederum wilden Phase als Schriftsteller bekannt. Für seine Romane "Defilee der Liebe", "Die göttliche Schnepfe" und "Eheleben" erhielt er im Jahr 2005 den renommierten Cervantes-Preis.

In "Eheleben" wird die schöne Jacqueline von ihrem Mann betrogen. Darum nimmt sie sich Liebhaber, die sie sehr lieben müssen, denn sie verlangt, dass sie helfen, ihren Mann umzubringen. Alle Anschläge missglücken. Und Jacqueline sieht immer weniger schön aus, zwei Finger sind weg, ein Schuss in die Schulter. Ihre Komplizen sind Stümper.

Dieser kurze Roman lässt sich auch als lange Erzählung lesen. Denn mit der Erzählung hatte Pitol sein Genre gefunden. Erstmals auf Deutsch wurde er mit "Eine Nacht" vorgestellt, 1978 bei Volk & Welt, DDR, ebenfalls eine Eheleben-Geschichte. Ein Mann denkt, dass er die Falsche geheiratet hat und träumt so lange von der Richtigen, bis er sie zufällig wiedertrifft. Sie willigt ein, "mit ihm eine Nacht zu verbringen, von der er jetzt mit dem Gefühl zurückkehrte, eine Statue besessen zu haben, eine Statue, die gleichzeitig kalt und abstoßend schlüpfrig war, die alle Bewegungen kannte, die sich gewaltsam hingab, ihn mit blendender Virtuosität liebkoste." Anders gesagt, der Mann ist geheilt.

Sergio Pitol, 1933 in Puebla geboren, wuchs in einem Zuckerrohr-Betrieb in Veracruz auf. Vom anarchischen Geist der Veracruzer Feste scheint sein Werk durchdrungen zu sein, lustvoll, teils schrill, schwarzhumorig. Der Band "Drosseln begraben" versammelt Erzählungen aus mehreren Jahrzehnten, darunter auch seine erste überhaupt, "Victorio Ferri erzählt eine Geschichte" von 1957. "Ein Lachen wird langsam so fürchterlich, dass sich die Frauen bekreuzigen, wenn sie es hören." Victorios Vater halten sie für den Teufel, Victorios Zuhause für die Hölle. Sie, das sind die Arbeiterinnen und Arbeiter auf der Hazienda, und Victorio schleicht nachts zu ihren Hütten, um zu spionieren und dann dem Vater zu verraten, wie sie herziehen über ihn und die Familie. Anderntags werden sie böse bestraft. Auch Victorio hat Übles im Sinn. Doch eines Tages entdeckt er eine kleine Gedenktafel in der Kirche von San Rafael, die ihn für tot erklärt - gestorben schon als Kind. Es ist also ein Toter, der diese Geschichte erzählt. In Xalapa, wo er in der Einsamkeit sein Glück gefunden hat, ist Pitol am Donnerstag gestorben. Er wurde 85 Jahre alt. Da wir einiges von ihm gelernt haben, zum Beispiel, Gedenktafeln zu misstrauen, stellen wir uns vor, er würde auch als Toter weiter Geschichten erzählen.

© SZ vom 14.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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