Nachruf:Republikanische Seele

Kurt Marti, 1986

Der 1921 geborene Kurt Marti, Pfarrer, Lyriker und kritischer Beobachter der Schweiz und der Schweizer.

(Foto: Brigitte Friedrich)

Der Pfarrer und Lyriker Kurt Marti, geboren 1921 in Bern, hat den kritischen Theologen Karl Barth zum Vorbild gewählt. Jetzt ist er im Alter von 96 Jahren gestorben.

Von Res Strehle

Seine Welt war in den vergangenen Jahren immer kleiner geworden. Das Gehen war ihm schwerer gefallen und zum Schluss unmöglich. Der Rücken machte ihm zu schaffen. Er konnte nur noch mit einer Lupe lesen. Und dann ärgerte er sich über den Verlust alltäglicher Fertigkeiten wie der, pfeifen zu können.

Dabei war er dankbar für sein reiches Leben. Geboren 1921 als Sohn eines Berner Notars, hatte Kurt Marti erst mit dem Studium des Rechts begonnen, sich danach aber für die Theologie entschieden. Sein Vorbild war sein Lehrer in Basel, Karl Barth, aufmüpfig gegen staatliche Zwänge und jede Form von autoritärem Denken und Handeln. In den Sechzigerjahren suchte Marti den Dialog mit dem verfemten Schweizer Marxisten Konrad Farner. Die filmisch aufgezeichnete Debatte zweier linker Christen führte dazu, dass ihm 1972 an der Universität Bern eine zugesicherte Professur für Predigtlehre verweigert wurde.

Ihm blieb die Pfarreistelle an der Nydeggkirche in Bern, die er von 1961 bis 1983 innehatte. Ob im Gottesdienst oder in der Seelsorge, Kurt Marti war Menschenbeobachter und aufmerksamer Beobachter des Zeitgeschehens zugleich. Als es ihm immer schwererfiel, den Teenagern im Konfirmationsunterricht Gott näherzubringen, ließ er sich als Pfarrer frühpensionieren.

Es blieben ihm gut dreißig Jahre, in denen er ausschließlich als Prosaautor und Lyriker arbeiten konnte. Schon 1959 hatte sein Band "Republikanische Gedichte" aufhorchen lassen, wegen seines politischen Impetus wie wegen seiner ästhetischen Modernität. In vielen seiner Gedichtbände näherte sich die lyrische Form dem Aphorismus an. Er holte aus den Wörtern heraus, was sie unter ihrer Oberfläche verbargen, den Gegen-, den Widersinn. Immer wieder verfasste er seit dem Band "Rosa Loui" (1967) Gedichte in der Berner Mundart.

Die "Spätsätze", die ihm ein deutscher Verleger abnötigte, entpuppten sich als Juwel. Die kurzen, handschriftlich festgehaltenen Sentenzen unter dem Titel "Heilige Vergänglichkeit" (2010) enthalten nicht nur akribische Beobachtungen, sondern auch knappe, wunderschöne Liebeserklärungen an seine verstorbene Frau.

Viele "Notizen und Details" in der Buchausgabe seiner Kolumnen in der Zeitschrift "Reformatio" zwischen 1964 und 2007 sind kulturkritische Einsprüche. "Konzeptionslos und chaotisch wuchern unsere Städte weiter ins Land hinein", schrieb er 1964, in einer seiner Kurzgeschichten staunt der "cherubinische Velofahrer", ein radelnder Engel, über den beschleunigten Verkehr und nimmt die rasenden Autos als "Geschosse" wahr.

Im letzten Interview sprach er von seinem Wunsch nach einem sanften Tod "sonder Grämen", wie es bei Matthias Claudius heißt. Den Wunsch nach ewigem Leben empfand er als Anmaßung. Am Samstag ist Kurt Marti im Alter von 96 Jahren in seiner Heimatstadt Bern gestorben.

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