Nachruf:Paula Fox ist gestorben

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Als Kind war sie die Paula, die niemand wollte. Paula Fox, Jahrgang 1923, wuchs in schwierigen Verhältnissen auf. Nicht anders als Courtney Love, ihre Enkelin. (Foto: Victoria Will/AP)

Die Autorin, Jahrgang 1923, galt jahrelang als vergessen und wurde dann von Jonathan Franzen wiederentdeckt. Sie war eine Porträtistin amerikanischer Bürgerlichkeit - und die Großmutter von Courtney Love.

Von WILLI WINKLER

Auf den Ruhm musste sie länger warten. Dann fiel eines ihrer Bücher dem Leser Jonathan Franzen in die Hände. Er las es an Ort und Stelle aus, gleich in der Bibliothek. Weil er den Roman "Was am Ende bleibt" auch noch für sich haben und in der Buchhandlung kaufen wollte, erfuhr er, dass die Autorin gar nicht mehr existierte: Keiner ihrer sechs Romane war aufzutreiben, Paula Fox war vollständig vom Markt verschwunden.

Als er 1996 in seinem Aufsatz in Harper's einen neuen naturalistischen Roman für Amerika forderte, führte Franzen Paula Fox und ihr unbekanntes Meisterwerk als Musterbeispiel an und nutzte es als Mahnung an den Literaturbetrieb, der John Updikes "Hasenherz" feiere, "während dieses Buch, neben dem alles verblasste, nicht einmal lieferbar ist". Da war Paula Fox bereits 73, eine Autorin ohne Werk.

Dabei war sie keineswegs unbekannt, hatte neben den Romanen ein Dutzend Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht, darunter "Sklavenfracht für New Orleans" (1979), und Preise dafür erhalten. Hollywood hatte "Was am Ende bleibt" (im Original: "Desperate Characters") sogar mit Shirley MacLaine in einer Hauptrolle verfilmt, aber sie galt niemandem als Schriftstellerin. Zu Hause in Brooklyn gehörte sie zwar zur besseren linksliberalen Gesellschaft, Akademiker von der Columbia University verkehrten bei ihr und ihrem Mann, Philip Roth schaute gelegentlich vorbei, aber sie stand in der Küche und kümmerte sich um das Essen.

Es ist das Milieu, das sie auch in ihrem bekanntesten Buch "Was am Ende bleibt" schildert, gut situierte Gestalten, deren Verzweiflung erst unter dem Blick der gnadenlosen Beobachterin offenbar wird. Das bürgerliche Leben gerät ihnen wie ihre Ehe durcheinander, während draußen die Gesellschaft im Kulturkrieg der späten Sechziger explodiert. Einmal beobachtete sie, wie auf der Ladefläche eines Lastwagens ein Bub aus Puerto Rico von einer Glasscheibe erschlagen wurde, mit der sich ein bürgerlicher Haushalt noch weiter verfeinern wollte. Für sie die perfekte Metapher, wie der Reichtum der einen ungewollt tödlich für die anderen sein kann.

In dem autobiografischen Bericht "Burrowed Finery" (Deutsch: "In fremden Kleidern", 2001), der nach einem Überfall entstand, der beinahe tödlich verlaufen wäre, erinnerte sich Fox an ihre Kindheit, die wie eine Kette aus Vernachlässigung und Überfürsorge erscheint. Ihre Eltern pendelten zwischen Ost- und Westküste, schrieben Drehbücher, tranken zu viel Champagner und führten das angemaßte Scott & Zelda-Leben, in dem für ein empfindliches Kind kein Platz war. Paula wurde nach der Geburt von ihrer kubanischen Mutter in ein New Yorker Kinderheim gegeben, kam dann nach Florida, Kuba, Kanada. Auf eine hasserfüllte Mutter folgte eine fremde Großmutter, folgte die Pflegschaft bei einem Pastor und dann doch wieder das Waisenhaus. Dazwischen tobten die Rabenmutter und ein Vater, den die Ehefrau vor die Wahl stellte: ich oder sie, und "sie" war Paula, die niemand wollte. Eine Biografie, die Paula Fox dann fast zwanghaft selber fortsetzte, als sie mit siebzehn heiratete, die eigene Tochter zur Adoption freigab, die ihrerseits eine ungewollte Tochter zur Welt brachte, die nicht ganz unbekannt ist, sondern Courtney Love heißt und den selbstmörderischen Kurt Cobain heiratete. Diese Genealogie brachte Paula Fox im hohen Alter noch einmal Aufmerksamkeit. Sie versöhnte sich mit ihrer Tochter, fand die Ausdrucksweise ihrer Enkelin aber trotzdem vulgär und konnte ihrer eigenen Mutter bis zuletzt nicht deren selbstsüchtige Lieblosigkeit verzeihen. Ein Wunder ohnehin, dass sie über dieses Leben schreiben konnte, ohne darüber zu verzweifeln. Am vergangenen Mittwoch ist Paula Fox im gesegneten Alter von 93 Jahren in New York gestorben.

© SZ vom 06.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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