Nachruf:Monströse Trockenhaube

James Rosenquist lernte durchs Malen von Filmpalakten, wie man visuelle Effekte schafft. Später zählte er zu den wichtigsten Figuren der Pop-Art. Jetzt ist der New Yorker Maler im Alter von 83 Jahren gestorben.

Von Gottfried Knapp

Billboard Michelangelo" - der Spitzname, den Malerkollegen erfunden haben, charakterisiert die Art, wie der Maler James Rosenquist mit den Dingen seiner Umgebung umging, überraschend gut. Die Formulierung "Michelangelo der Plakatwände" deutete auf der einen Seite große Formate an; es war also zu vermuten, dass der so Bezeichnete keine Neigung zur Miniatur hatte. Und man konnte auf der anderen Seite annehmen, dass er wie ein Werbeplakatmaler - diesen Beruf gab es in den frühen Sechzigern noch - mit leicht identifizierbaren, überrumpelnd deutlichen Motiven arbeitete.

Wie nah man mit diesen Vermutungen der historischen Realität kommt, zeigt ein Blick auf die Biografie des Malers. James Rosenquist wurde 1933 in Grand Forks, North Dakota, geboren. Nach einem Malereistudium in Minneapolis kam er 1955 nach New York, wo er für kurze Zeit Schüler von George Grosz wurde und auf die sich formierende Avantgarde, auf Jasper Johns, Robert Indiana, Robert Rauschenberg, Agnes Martin und Ellsworth Kelly traf.

Sein Geld verdiente er damals als Maler von Werbeplakaten. So gingen alle nur denkbaren Objekte der Warenwelt irgendwann durch seine Hände; und wie man mit geschickt gesetzten Glanzlichtern und effektvollen Schattierungen auf einem Filmplakat Schönheit suggeriert und Kinoglamour erzeugt, wusste er besser als alle etwa gleichaltrigen Kollegen, die sich damals für die Schauseiten des amerikanischen Alltags zu interessieren begannen. So brauchte er eigentlich nur noch die übergroßen Ansichten allseits bekannter Wunschobjekte, die er bis dahin auf Plakatpapier gemalt und auf Reklamewände geklebt hatte, in eine der bekannten New Yorker Galerien zu tragen, um in einen besonderen Kreis von jüngeren Künstlern aufgenommen zu werden. Diese erregten um 1960 mit illusionistisch perfekten Abbildungen, Nachformungen und Vergrößerungen von Alltagsschrott Aufsehen und wurden bald schon als Pioniere der Pop Art in den USA gefeiert.

FILE PHOTO - People view US artist James Rosenquist's 'Celebrating the Fiftieth Anniversary of the Signing of the Universal Declaration of Human Rights by Eleanor Roosevelt' at the Art 37 in Basel

Ausschnitt aus "Celebrating the Fiftieth Anniversary of the Signing of the Universal Declaration of Human Rights by Eleanor Roosevelt" auf der Art 37 in Basel.

(Foto: Stefan Wermuth/Reuters, VG Bildkunst, Bonn 2017)

Rosenquist hat sich gegen die frühe Rubrizierung unter dem Label nicht gewehrt, warum hätte er auch sollen. Immerhin ist er mit ähnlich plakativ und grellbunt arbeitenden Malerkollegen wie Roy Lichtenstein und Tom Wesselman ein paar Jahrzehnte lang in den USA und in Europa höchst erfolgreich herumgereicht worden. Doch als das allgemeine Interesse an den Sechzigerjahren nachließ, verschwanden auch seine damals geschaffenen und gefeierten Gemälde großenteils wieder aus den aktuellen Sammlungen. Und was er danach geschaffen hat, ist in Einzelausstellungen kaum mehr irgendwo gezeigt worden. Da seine besten Bilder ihre Botschaft aber besonders klar und deutlich vortragen, ist mit einer baldigen feurigen Wiederentdeckung zu rechnen. Sie könnte schon im kommenden Herbst passieren, wenn das Museum Ludwig in Köln, das eine der besten Pop-Sammlungen in Europa besitzt, seine geplante Rosenquist-Retrospektive zeigt.

Wie frech sich der Plakatmaler James Rosenquist in seinen ersten für den Kunstmarkt gemalten Großformaten motivisch aus dem aktuellen gesellschaftlichen Geschehen bedient hat, zeigt das dreieinhalb Meter breite und mehr als zwei Meter hohe Triptychon aus dem Jahr 1960 mit dem Titel "President Elect". Auf diesem bis heute lebendigen Gemälde würde das maßlos vergrößerte, farblich glühende, aber oben frech angeschnittene Gesicht des Präsidentschaftskandidaten John F. Kennedy fast die ganze linke Hälfte einnehmen, wenn seine Wange und die makellos weiß glänzenden Zähne nicht von zwei schwarz-weiß gemalten Frauenhänden überdeckt würden, die einen Putzlappen in zeremonieller Geste ins Bild halten. Dieses fliesartige, wulstig-graue, leicht eklige Gebilde, das mit seinen weißen Rändern auch ein schlecht gemaltes Tortenstück sein könnte, dürfte seinerseits wieder nützlich werden, wenn das Automobil, dessen untere Partie die rechte Hälfte des Bildes bedeckt, gereinigt werden soll.

Nachruf: James Rosenquist, geboren 1933, lernte als Plakatmaler, wie man visuelle Aufmerksamkeit erzeugt. In seinen Pop-Art-Gemälden zerlegte der New Yorker Alltagsbilder in Details.

James Rosenquist, geboren 1933, lernte als Plakatmaler, wie man visuelle Aufmerksamkeit erzeugt. In seinen Pop-Art-Gemälden zerlegte der New Yorker Alltagsbilder in Details.

(Foto: AFP)

Schon dieser Erstversuch zeigt die Wirkungsmittel des Malers Rosenquist in schöner Klarheit. Er zerlegt die Bilder, die ihm im Alltag in die Quere kommen, in sprechende Details und collagiert sie so zielbewusst und überraschend in- und übereinander, dass alle höheren Sinnzusammenhänge gelöscht werden, der Schaueffekt aber in seinen sinnlichen und räumlichen Dimensionen mächtig gesteigert wird. Rosenquist hat früh entdeckt, dass er mit seinem Plakatmonumentalismus ganze Räume füllen konnte. Und so hat er 1965 bei seinem Galeristen Castelli unter dem Titel "F-111" ein 26 Meter langes, drei Meter hohes Gemälde abgeliefert, das alle Wände des Ausstellungsraums bedeckte und die Blicke der Besucher beispielsweise von rasenden Kampfbombern über rotgelbe Nudelpampen zu Glühbirnen und einem Kindergesicht lenkte, das unter einer monströsen Trockenhaube hervorgrinste.

In den letzten Jahren hat Rosenquist seine vielteiligen Kompositionen immer stärker abstrahiert und auf den Wirbel reiner Farben abgestellt, wie sein im Jahr 2006 für die Art 37 Basel gemaltes riesiges Panorama mit dem Titel "Celebrating the Fiftieth Anniversary ..." anschaulich zeigt. Am Samstag ist James Rosenquist in New York gestorben. Er war 83 Jahre alt.

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