Nachruf:Mann aus einer lichten Nacht

joe ouakam

Ouakam stand einmal auf, um ein Blatt, das vom Baum gefallen war, an die "richtige" Stelle zu legen. Entrückt. Und hyperpräsent.

(Foto: Jonathan Fischer)

Der Senegalese Issa Samb, genannt Joe Ouakam, ist tot. Er war Afrikas erster moderner Künstler.

Von Jonathan Fischer

Keine Tafel markiert dieses Kraftzentrum afrikanischer Kunst. Wer an der Rue Jules Ferry 17 in Dakars Boutiquenviertel Plateau vorbeiflaniert, kann einen bröckelnden Hinterhof und hölzerne Schuppen sehen. Oder man liefert sich einer Energie aus, die man hier, zwischen Hotels, Bankgebäuden und Hochhausbaustellen, kaum vermutet hätte: der Aura märchenhafter Verwünschung. Und das, obwohl aus einem Rekorder wilder Free Jazz schallt. Ein alter weißhaariger Mann wechselt ab und zu die Kassetten. Ansonsten scheint er untätig, zieht an seiner Pfeife, erwidert die Grüße von Passanten mit einem stummen Nicken. Issa Samb alias Joe Ouakam. "Er ist eine Art Kulturminister für uns", raunt der Schriftsteller Charles Cheikh Sow dem Besucher zu. "Alle Künstler vertrauen ihm."

Oukam hat seit den Siebzigerjahren Generationen senegalesischer Künstler geprägt. Als "ersten modernen afrikanischen Künstler" bezeichnet ihn der Kurator Simon Njami. Ouakam habe die Ideen von Beuys, Arte Povera und Fluxus mit der afrikanischen Prämoderne kurzgeschlossen. Mit großen Ausstellungen hatte das kaum zu tun. Denn der Bildhauer, Maler, Filmemacher, Dichter und Philosoph Joe Ouakam gehörte zu den Künstlern, die kein Œuvre im klassischen Sinne brauchen. Zwar war er auch auf der letztjährigen Biennale "Dak'art" mit Bildern vertreten. Ein Kunstwerk aber war der Mann selbst. Wenn Künstlerkollegen in Oaukams Freiluftatelier eintrudelten, schien ihre Kommunikation nicht über Worte zu laufen. Als vielmehr darüber, dass selbst das Kleinste eine Bedeutung hat. Ouakam etwa stand einmal auf, um ein Blatt, das vom Baum gefallen war, an die "richtige" Stelle zu legen. Entrückt. Und hyperpräsent.

"Lettre aux morts, lettre aux vivants" - Brief an die Toten, Brief an die Lebenden, hatte er an die Wand geschrieben. Mit Galerien oder Museen wollte Issa Samb nie arbeiten. Er verstand sein Atelier als Laboratorium für performativ-politische Experimente. Eine Installation zeigte die zu einer Art "Ahnenbaum" übereinandergestapelten Stühle, auf den Lehnen die Namen senegalesischer Künstler und Politiker. "Die Schönheit der Welt", hat Ouakam einmal in einem seiner Videos gesagt, "ist Kunst und Kultur. Nun versuchen sogenannte Künstler dieses wunderbare Erbe zu verkaufen, das uns die Vorfahren hinterlassen haben."

Er verstand sich als Missionar im Geist der Fischer und des Meeres

Issa Samb kam am 31. Dezember 1945 im Vorort Ouakam - daher sein Künstlername - als Sohn einer Familie traditioneller Heiler zur Welt. Afrikanische Spiritualität hat hier, bei den Fischern der Lebou, Jahrhunderte des Islam überlebt und drückt sich etwa in rituellen Tieropfern an die Meeresgeister aus. Joe Ouakam erlebte mit 15 Jahren die Unabhängigkeit Senegals. Er studierte an der Cheikh-Anta-DiopUniversität, besuchte die Kunstakademie und politisierte sich bei den Studentenprotesten im Mai 1968. In der Folge gründete er die Künstlerbewegung "Laboratoire Agit-Art": Es ging ihr um Performance jenseits der Ausrichtung auf den Staat oder den Markt. Folglich kritisierte Ouakam auch die von Senegals erstem Präsidenten Leopold Senghor ausgerufene "Négritude": Sie galt ihm als Bewegung einer kleinen intellektuellen Elite.

Ouakam wollte die Barriere zwischen Alltag und Kunst aufheben. Jeder in Dakar weiß etwas über den Mann: Über seine Bilderverbrennungen. Über Ouakams Fernsehauftritte, die gelegentlich mit einem minutenlangen Schweigen begannen. Oder von seinen Prozessionen: In einer dieser Video-Performances steigt der Künstler aus einem Sarg, geht mit einem schwarzen Schleier um den Kopf durch die Straßen Dakars und predigt, dass er als "Missionar des lebendigen Geistes der Fischer und des Meeres dienen werde".

Zuletzt hatte der Bauboom in Dakar auch Joe Ouakams Refugium bedroht. Der drohende Verlust dieses mythischen Ortes traf Ouakam schwer: Er, der nie Wert auf Besitz gelegt hatte, wohnungslos lebte, und seine eigenen Schriften nur als Fotokopien besaß, hatte hier eine Gegenutopie zur durchkommerzialisierten Megametropole geschaffen. Das Atelier ist vorerst gerettet, sein Kraftzentrum aber ist gegangen. Joe Ouakam verstarb letzten Mittwoch in Dakar. Er wurde 71 Jahre alt. "Du kommst aus einem anderen Universum", hatte der senegalesische Schriftstellerkollege Amadou Lamine Sall über ihn geschrieben. "Aus einer Nacht, die weniger grausam ist als der helllichte Tag." Mit Ouakam ist ein Mittler zwischen den Welten gegangen.

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