Nachruf:Die Philosophin Anne Dufourmantelle ist tot

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Anne Dufourmantelle verband philosophisches Denken gern mit gesellschaftlicher Realität und scheute sich nicht, mit unbequemen Thesen zu brüskieren.

(Foto: H. Assouline/Opale/Leemage/laif)

In ihren Arbeiten verband Dufourmantelle auf vornehmste Art philosophisches Denken mit gesellschaftlicher Realität. Sie starb beim Versuch, den ertrinkenden Sohn einer Freundin zu retten.

Von Joseph Hanimann

Selten haben Philosophen Gelegenheit, ihr Tun mit ihrem Denken bis zur letzten Konsequenz in Einklang zu bringen. Die französische Psychoanalytikerin und Philosophin Anne Dufourmantelle hatte die Aufmerksamkeit für andere und die Gastfreundschaft zu einem Hauptthema ihres Denkens gemacht und starb nun in Südfrankreich beim Versuch, den ertrinkenden Sohn einer Freundin zu retten. "De l'hospitalité" (Gastfreundschaft) hieß 1997 ein Buch, das die 1964 in Paris geborene Psychoanalytikerin und Tochter einer Psychoanalytikerin zusammen mit dem Philosophen Jacques Derrida publizierte. Die auch als Verlegerin, Journalistin und Romanautorin tätige Kosmopolitin der vornehmsten Art verband philosophisches Denken gern mit gesellschaftlicher Realität und scheute sich nicht, mit unbequemen Thesen zu brüskieren.

Dufourmantelles Sanftheit im Umgang mit Patienten geriet nie zur theoretischen Weichzeichnung

Im Buch "La sauvagerie maternelle" (Mütterliche Wildheit) suchte sie 2001 darzulegen, dass durch den Hang, die Kinder nie ganz loszulassen, in jeder Mutter ein Zug von Unbeherrschtheit wohne. Besonders kritisch untersuchte sie, vorab im Buch "Défense du secret" (Verteidigung des Geheimen), auch das moderne Gebot der Transparenz, alles zu sagen, alles zu zeigen, alles offenzulegen. Wichtiger Gegenstand ihrer psychoanalytischen Arbeiten war die Tendenz der Menschen, in ihren Beziehungen trotz besseren Wissens und Wollens sich immer neu in die selben Situationen von Misstrauen, Verrat, Dissens und Trennung zu verstricken. Die Sanftheit, die Anne Dufourmantelle laut Aussagen ihrer Patienten im täglichen Umgang pflegte, geriet aber nie zur theoretischen Weichzeichnung durch ein idyllisches Menschenbild - zu sehr mahnte die Figur Kassandras im Hintergrund ihres Werks und zu scharf war die Anforderung ihrer Begrifflichkeit. "Eloge du risque" (Lob des Risikos) hieß 2011 ein Buch, in dem die Autorin auf den Spuren von Hölderlins Satz, dort, wo die Gefahr sei, wachse auch das Rettende, die Bereitschaft zum Risiko paradoxerweise als sichersten Weg in die Freiheit darstellte.

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