Nachruf:Ein Gesicht des Sozialismus

Ein Kind der Personalunion von Antifaschismus und Stalinismus: Warum Margot Honecker, die First Lady der DDR, so hart war.

Von Jens Bisky

"Ding, Dong! The witch is dead", mag es manchem kurz durch den Kopf gezischt haben, als Freitagnacht die Nachricht vom Tod Margot Honeckers eintraf. Kaum hatte man es gedacht, folgte Scham: So kaltherzig reagiert man nicht, wenn ein Mensch stirbt. Lässt sich Gutes sagen über die ewige Ministerin für Volksbildung der DDR?

Die chilenischen Kommunisten haben ihr für Solidarität gedankt, gewährt in den Jahren, in denen etwa ein Franz Josef Strauß zum Schlächter Pinochet gefahren ist, um dann wenig später mit einem Milliardenkredit das Fortleben der DDR zu sichern. In Deutschland wurde die imposante Erscheinung der Ministerin hervorgehoben, eindrucksvoll vor allem im Vergleich mit dem sonstigen Einheitslook im Zentralkomitee der SED. Die Verlegenheitsvokabel "First Lady" trifft scharf daneben, verdankte sie ihre Macht doch nicht ihrer Stellung als Ehefrau, sondern ihrer Position im Apparat. Dort gehörte sie zum mächtigsten Dutzend, seit sie 1963 Ministerin für Volksbildung geworden war.

Zwei Jahre später trat das "Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem" in Kraft, Grundlage ihres Wirkens: "Das Ziel des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems ist eine hohe Bildung des ganzen Volkes, die Bildung und Erziehung allseitig und harmonisch entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten, die bewusst das gesellschaftliche Leben gestalten, die Natur verändern und ein erfülltes, glückliches, menschenwürdiges Leben führen." Dabei blieb es bis zum Sturz.

Margot Honecker

Margot Honecker 1988 bei einer Festrede an der Pädagogischen Hochschule in Potsdam.

(Foto: Ullstein Bild)

Das einheitliche sozialistische Bildungssystem durchzusetzen und am Leben zu erhalten, bis die Mehrheit der DDR-Bürger es nicht länger ertragen wollte und von sozialistischen Schulen kaum anders als verachtend und hassend gesprochen wurde, das war die Lebensleistung Margot Honeckers. Welche Bedeutung der "Volksbildung" in der DDR zukam, scheint der gesamtdeutschen Öffentlichkeit doch recht fremd geblieben zu sein. Deswegen wirkte Margot Honecker in den letzten zehn Jahren wie in den Schlagzeilen nach ihrem Tod wie eine bizarre Figur, mit auffallender Haarfärbung und kleiner Pistole in der Handtasche. Besonders bizarr aber wirkte, dass sie bis zum letzten Atemzug von der Richtigkeit ihres Tuns überzeugt blieb.

Dass sie die Geliebte des FDJ- Chefs Honecker wurde, hätte ihre Karriere gefährden können

Nun, die Konsequenz kommunistischer Lebensläufe hat die liberale Gesellschaft immer schon verstört. Die Tochter einer Fabrikarbeiterin und eines Schuhmachers, 1927 als Margot Feist in Halle an der Saale geboren, hatte 1945 gute Gründe, der KPD beizutreten. Schon ihr Vater war Mitglied der Partei gewesen und von den Nazis wegen illegaler antifaschistischer Arbeit ins Konzentrationslager gesteckt worden. Nun sollten aus der Schreckenszeit des Faschismus Lehren gezogen, nun musste das zerstörte Land neu aufgebaut werden. Wer da mitmachte, dem standen viele Wege offen. Margot Feist gelang eine der steilsten Funktionärskarrieren in der DDR. Dass sie die Geliebte des talentierten FDJ-Chefs Erich Honecker und von diesem schwanger wurde, hätte unter dem sittenstrengen Ulbricht beider Aufstieg gefährden können. Auf dessen Drängen hin ließ Honecker sich von seiner zweiten Frau scheiden, Margot Feist wurde die dritte.

Margot Honecker

Die sowjetische Kosmonautin Walentina Tereschkowa (links) traf 1973 die amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis (rechts) und Margot Honecker bei den Weltjugendfestspielen in Berlin.

(Foto: Ullstein Bild)

Der Historiker Martin Sabrow, der an einer großen Honecker-Biografie arbeitet, hat in der "mangelnden politischen Elastizität" des Generalsekretärs jene Eigenschaft erkannt, die ihm den Machterhalt weit über das historische Verfallsdatum des SED-Regimes hinaus sicherte. Drei Bereiche wurden dabei entscheidend: Sozialpolitik (Günter Mittag), Geheimpolizei (Erich Mielke), Volksbildung (Margot Honecker). Nachdem die "sozialistischen Produktionsverhältnisse" gesiegt hatten, galt es, die Menschen für den Aufbau des Sozialismus zu erziehen, nicht selten in Formen der Dressur und der Einübung in Rituale. Das war verbunden mit der willkürlichen Zuteilung von Lebenschancen und mit Gewaltmaßnahmen gegen viele, die sich nicht nach Plan verhielten. Die Liste der Schandtaten innerhalb des "einheitlichen sozialistischen Bildungssystems" ist lang: Zwangsadoptionen, Zurichtung und Brechung Jugendlicher in Werkhöfen, Schikanen gegen Gläubige, die Einführung des Wehrunterrichts. Weiteres steht in Freya Kliers zornigem Buch "Lüg Vaterland".

Im Herbst 1988 wurden mehrere Schüler der Berliner EOS "Carl von Ossietzky" von der Schule geworfen, weil sie Militärparaden und Rechtsextremismus kritisiert hatten. Die gespenstische Affäre wurde zu einem der drei, vier vorrevolutionären Schlüsselmomente. 1989/90 dann, im Augenblick der Befreiung, traf Margot Honecker stärkerer Hass als ihren Mann. Das hat den Starrsinn, der so lange die Macht gesichert hatte, gewiss weiter befördert. Dass die DDR-Schulen unter Verkennung der Wirklichkeit und getragen vom Verlangen nach Disziplin und Unterordnung später glorifiziert wurden, hat sie noch miterlebt. Juristisch war der pädagogischen Diktatur DDR nur schwer beizukommen. Ihre gesellschaftlichen Folgen sind bis heute zu spüren.

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