Nachruf:Der Stuntman der Kunstwelt

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Gewalt und Modellbau: Zum Tod des amerikanischen Performance-Künstlers Chris Burden.

Von Jörg Heiser

Mit dem Foto hat er sich in die Erinnerung einer ganzen Kunstgeneration eingebrannt: Es zeigt ihn im Profil, den Mund halb offen im Schock, am Oberarm ein Loch: Blut. Ein Freund hat gerade auf ihn geschossen - auf sein Geheiß hin. Am 19. November 1971, in der von ihm mitgegründeten F-Space Gallery in Santa Ana, Kalifornien. "Shoot" hieß die Performance, Chris Burden war 25, Kunststudent und schlagartig berühmt.

Für seine Abschlussarbeit hatte Burden sich am 26. April 1971 in ein winziges Schließfach einsperren lassen. Er harrte, so die Legende, fünf Tage darin aus. Im Spind über ihm ein Kanister mit Trinkwasser, unter ihm einer für den Urin. Sonst nichts. Im November darauf der Schuss. Gefolgt von einer Logik zunehmender Verschärfung. Am 14. Januar 1972 etwa führte er eine Art Geiselnahme im lokalen Fernsehsender auf. Die befreundete Moderatorin, der er ein Messer an die Kehle hielt, schwor später, sie sei nicht eingeweiht gewesen. Und am 15. November 1973 tat er Folgendes: "Um 18 Uhr stand ich im Eingang zu meinem Atelier, direkt an der Strandpromenade von Venice Beach. Ein paar Zuschauer waren Zeuge, als ich zwei elektrische Drähte in meinen Brustkorb bohrte. Es kam zum Kurzschluss und zur Explosion; ich verbrannte mich, entging aber dem Stromtod."

Legendenbildung gehörte dazu. Es gibt Tausende, die bezeugen, sie hätten gesehen, wie Burden am 23. April 1974 , an den Händen auf das Dach eines VW Käfers genagelt, durch die Straßen von Venice gefahren worden sei. Tatsächlich war nur eine Handvoll Zuschauer dabei, als der Wagen ein paar Meter aus der Garage gerollt wurde. Aber Burdens Ruf war besiegelt: Er war eine Mischung aus Fakir und James Dean. Der Stuntman der Kunstwelt.

Aber statt seine Kunststückchen immer wieder aufzuführen, widmete er sich ab etwa 1980 vor allem seiner Leidenschaft für Spielzeug. Schon vor den Performances hatte der 1946 in Boston geborene Sohn eines Ingenieurs und einer Biologin Spielzeug gesammelt. In den folgenden Jahrzehnten baute er riesige Modelle von Brücken oder ganzen Städten aus Erector - dem amerikanischen Pendant zu Märklin.

Dazwischen entstanden kluge Arbeiten wie "Samson" (1985): Eine Drehschranke am Ausstellungseingang verstärkte mit jedem Hindurchgehen eines Besuchers den Druck, den eine Apparatur auf die Museumswände ausübte - mechanisch gestützte Institutionskritik gewissermaßen. Oder "Beamdrop" aus demselben Jahr: Dafür ließ er Stahlträger vom Kran aus in frischen Beton fallen, so dass ein vom Zufall komponierter Metallwald entstand.

2004 hatte einer seiner Studenten an der UCLA - an der Burden und seine Frau, die Bildhauerin Nancy Rubins, seit Jahrzehnten unterrichtet hatten - ein vermeintliches Russisches Roulette aufgeführt. Er hielt sich einen Revolver an die Schläfe, drückte ab und verließ den Raum. Es war nicht das erste Mal, dass ein Student den Meister mit gefährlichen Aktionen beeindrucken wollte. Burden war alles andere als angetan. Als die Schule sich weigerte, den Studenten zu suspendieren, traten Burden und Rubins von ihren Professuren zurück.

Irgendwann übernahmen große Galerien wie Gagosian die Finanzierung der Modellbau-Manie: "What My Dad Gave Me" hieß ein 20 Meter hoher Erector-Wolkenkratzer, den Burden 2008 vor dem Rockefeller Center in New York aufstellte. Zugleich verwahrte er sich gegen Versuche, seine frühen Performances wiederaufzuführen. Als Marina Abramović anfragte, ob er ihr gestatten würde, "Trans-fixed", die VW-Käfer-Arbeit, zu reinszenieren, soll Burden das Ansinnen brüsk als " hirnverbrannt" zurückgewiesen haben. Ihm war schon lange die Lust auf jugendliche Mutproben vergangen. Der Erwachsene lebte lieber Kindheitsträume. Am Sonntag ist Chris Burden im Alter von 69 Jahren in seinem Haus im Topanga Canyon, nördlich von Los Angeles, gestorben.

© SZ vom 12.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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