Nachruf:Der Materialphilosoph

Jannis Kounellis wir 75

Der griechische Objektkünstler und Maler Jannis Kounellis im Jahr 2009.

(Foto: Esteban Cobo/dpa)

Jannis Kounellis hat das Wandbild konsequent zum Raumbild erweitert. Der Grieche, der 1956 nach Rom zog, war einer der prägenden Künstler seiner Zeit. Er arbeitete mit Schrott, lebenden Pferden und vielem mehr. Mit 80 Jahren ist er nun gestorben.

Von Gottfried Knapp

Wer einen der großen Kataloge, die zum Werk von Jannis Kounellis erschienen sind, durchgeblättert hat, der könnte versucht sein, den Künstler, der Räume der unterschiedlichsten Art mit Objekten besetzt und mit Dynamik aufgeladen hat, als Bildhauer zu bezeichnen. Doch Kounellis hat sich nie als Bildhauer, als Mann, der modellierend Dinge erschafft, empfunden: "Ich mache Bilder, allerdings keine geschlossenen Tafelbilder für die Wand, sondern offene, dreidimensionale Bilder, die sich im Raum entfalten, auf den Betrachter zukommen, ihn vereinnahmen", sagte er 2007 in einem Interview. Und verfolgt man die Entwicklung seines Werks von den Anfängen bis heute, kann man die fabelhafte Logik gut nachvollziehen, mit der dieser Räumedenker und Materialphilosoph das traditionelle Tafelbild Stück für Stück zum Raumbild erweitert und mit neuen Inhalten gefüllt hat.

Als Jannis Kounellis 1956 im Alter von zwanzig Jahren von Griechenland, wo er geboren wurde, zum Kunststudium nach Rom übersiedelte, traf er dort auf Künstler, die wie er nach Ausdrucksformen für die nach dem Krieg radikal veränderte Welt suchten. Er begann wie seine italienischen Kollegen konventionell mit Papier- und Leinwandarbeiten, ersetzte Farben und Binnenformen aber bald schon durch übergroße Druckbuchstaben, Zahlen, Pfeile und Punkte, die in rätselhaften Ordnungen über den weißen Grund verteilt waren, jede Deutungsmöglichkeit verweigerten, den Betrachtern aber sich wie Balken ins Gedächtnis brannten. Es war, als hätte sich die Sprache des Bildraums bemächtigt.

Doch schon wenig später nahmen ganz andere Elemente den Platz an der Wand in Anspruch: Gebrauchte Alltagsmaterialien, Schrottreste, Kohlesäcke, Steinbrocken, Brennholz, Seile, Ruß und Erde, aber bald auch schon organische Mitbringsel wie Kakteen, Hühnereier, Rinderhälften, lebende oder ausgestopfte Vögel - all das wurde an Wänden auf Gestellen installiert, in Tür-oder Fensteröffnungen gestopft, raumfressend auf dem Boden der erwählten Hallen ausgebreitet oder aber in bedrohlich labiler Form von der Decke abgehängt. Und immer wieder stachen Flammen aus den anspielungsreichen Installationen heraus. Das Tafelbild hatte also nicht nur die dritte Dimension erobert, es attackierte auch alle Sinne, es füllte den Museumsraum mit physischen Rätseln, die magische Anziehungskraft hatten.

Der Vergleich mit Joseph Beuys und dessen quasi alchemistischem Einsatz disparater Materialien liegt also nahe. Und wie Beuys ist Kounellis schon zu Lebzeiten als einer der prägenden Künstler seiner Zeit überall auf der Welt mit Ausstellungen gewürdigt worden. Im Jahr 1969, in dem er zehn lebende Pferde in einer römischen Galerie ausgestellt hat, wurde er von Harald Szeemann in dessen legendäre Entdeckerschau nach Bern eingeladen. Und drei Jahre später auf der von Szeemann geleiteten Documenta 5 kam Kounellis dem Titelthema "Individuelle Mythologien" so nahe wie kaum ein anderer.

Einen Stammplatz hat Kounellis im Kolumba-Museum in Köln sicher. Der von ihm dort abgestellte Kleiderständer mit Mantel und Hut, der vor einer goldgetönten Wand steht und von einer seitlich angebrachten Petroleumlampe schwach erleuchtet wird, soll alle künftigen Umbauten überstehen. Dass Kounellis mit Installationen wie diesem bildkräftigen Symbol der Abwesenheit von Theaterleuten entdeckt und zur Mitarbeit eingeladen worden ist, wundert einen nicht. Und so müsste man diesem Nachruf auf den Raumkünstler Kounellis ein Kapitel über den Bühnen- und Szenengestalter Kounellis anhängen, der beispielsweise mit Heiner Müller und Daniel Barenboim zusammengearbeitet hat. Am 16. Februar ist Jannis Kounellis im Alter von 80 Jahren in Rom gestorben.

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