Nachruf:Das Vorbild

Der Jazzsänger Mark Murphy ist gestorben. Er war mit seiner Techik, den Gesang als Instrument zu behandeln, Vorbild für Al Jarreau und Jamie Cullum.

Von Till Brönner

Als ich siebzehn war, spielte mir ein Freund Musik von Mark Murphy vor. Seither war dieser so ganz andere Jazzsänger für mich immer einer der Größten. Er stammte aus Syracuse, einer Provinzstadt im Staate New York, wo ihn Sammy Davis Jr. 1953 entdeckte und in seine Show einlud. Drei Jahre später veröffentlichte Murphy das erste seiner mehr als 40 Alben. Das Besondere und damals Neue an ihm war: Er sang wie ein Instrumentalist, improvisierte mit Texten wie andere mit Tönen.

Ich traf Mark Murphy dann um das Jahr 2000 herum im Berliner Jazzclub A-Trane. Damals fuhr ich nach dem Üben immer am Club vorbei, um einen Blick aufs Programm zu werfen, das auf einer Tafel mit Kreide zu lesen war. "Mark Murphy and his Trio" stand dort an diesem Abend. Ich traute meinen Augen nicht und stand drei Minuten später als einer von etwa 15 Gästen am Tresen vor der Bühne. Murphys Trio bestand dann aus lokalen Musikern, weil er aus Kostengründen alleine angereist war. Zum Proben hatten sie keine Zeit gehabt, doch er dirigierte die Musiker den ganzen Abend über so souverän mit nur knappen Gesten und Winken, dass mir der Mund offen stehen blieb. Die Zugabe, eine Ballade, sang Murphy alleine, während er sich selbst am Flügel begleitete. Das traf mich wie ein Schlag. Von Rührung geschüttelt musste ich mich richtiggehend am Tresen festhalten.

Als ich Mark Murphy nach dem Konzert vermessenerweise meine neue CD schenkte, brachte er immerhin ein mürrisches "Nice meeting you, kid" zustande. Zwei Wochen später teilte mir meine Plattenfirma mit, dass sich ein gewisser "Mike" Murphy hartnäckig nach mir erkundige. Das war der Beginn einer langen Zusammenarbeit, die zu den wichtigsten Erfahrungen meines musikalischen Lebens zählt. Ich produzierte seine Alben "Once To Every Heart" und "Love Is What Stays", er sang auf meinem Album "Blue Eyed Soul".

Die Arbeit mit ihm unterschied sich erheblich von der Arbeit mit anderen. Während es bei den meisten Sängern im Studio darum geht, ihre Ängste zu kaschieren und abzufedern, war Mark völlig erhaben. Einzig vor der Coldplay-Nummer "What If" scheute er sich. Welchen Ruf er hatte, zeigte aber schon, dass Coldplay-Sänger Chris Martin, der Coverversionen sonst fast immer ablehnt, die Zusage für Murphy binnen 24 Stunden gab.

Mark Murphy wurde vom Jazzmagazin Downbeat vier Mal zum besten Sänger der Welt gewählt, er wurde sechs Mal für den Grammy nominiert, war Anfang der Sechziger mit "Fly Me To The Moon" sogar in den Hitparaden. Der große Erfolg blieb ihm trotzdem versagt. Den Superstars seines Fachs aber blieb er Vorbild, auch wenn sie nie erreichten, was sie so oft versuchten: So singen zu können wie Mark Murphy. Am Donnerstag ist er nach langer Krankheit in New Jersey gestorben. Er wurde 83 Jahre alt.

Der Autor ist einer der bekanntesten deutschen Jazzmusiker und Professor für Trompete an der Musikhochschule in Dresden.

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