Nachruf:Chronist der neuen Freiheit

Malick Sidibe

Soul der postkolonialen Popkultur - Malick Sidibé.

(Foto: Andre Durand/AFP)

Der Fotograf Malick Sidibé ist gestorben, der in Mali die Popkultur der postkolonialen Jahre aufnahm.

Von Jonathan Fischer

Als Malick Sidibés Schwarz-Weiß-Fotografien aus den Sechziger- und Siebzigerjahren bereits in den Museen und Galerien Europas und Amerikas gezeigt wurden, blieb sein Studio in Bamako ein gut versteckter Ort. Nicht einmal im Telefonbuch war es zu finden. Man musste schon Passanten im Stadtteil Bagadadji nach ihm fragen, dann wiesen sie einem freundlich den Weg zu einem kleinen unverputzten Flachbau, der sich äußerlich lediglich durch die schwarz-weiße Tafel "Malick Sidibe" von den benachbarten Teeküchen und Frisiersalons unterscheidet.

Wenn Malick selbst da war - und seinem Sohn und Fotografen-Nachfolger Karim Gesellschaft leistete - dann befeuerte ein gutmütiges Lachen die Teerunde vor seiner Tür. Und Malick Sidibé beschwor mit leiser Stimme eine Ära, in der Schlangen junger Menschen in zusammengeliehener Kleidung und mit frischen Frisuren in der abendlichen Schwüle vor seinem Laden anstanden.

Das ist inzwischen ein Stück afrikanische Geschichte. Das Studio aber hat sich bis heute nicht verändert. In Regalen verstauben Dutzende alter Rolleiflex-Kameras. Und tiefer im Halbdunkel erkennt man die schwarz-weiß karierten Linoleumböden und die Vorhänge, die als Kulisse für viele von Sidibés Klassikern dienten: Junge Männer in Schlaghosen, die stolz ihre Uhren, Radios oder Motorräder herzeigen. Frauen mit traditioneller Kleidung und Sonnenbrillen. Und manchmal auch Paare, die - bis dato in Mali undenkbar - selbstbewusst miteinander flirten.

Nicht nur die offenen Blicke beeindrucken. Mode und Posen der oft auf den Tanzflächen lokaler Clubs fotografierten Jugendlichen spiegeln den gesellschaftlichen Aufbruch. Die jungen Menschen in Mali sahen sich nach der Unabhängigkeit 1960 wie überall in Afrika als Teil einer weltweiten Bewegung. London und Paris waren nicht weit. Und das Versprechen von Mobilität und der Teilhabe an einer Popkultur, die damals noch eine Zukunft für alle versprach, lag in der Luft. Malick Sidibé gehörte mit seinem malischen Kollegen Seydou Keita zu den besten Chronisten dieser Zeit. Er stellte in einer auf Tradition fixierten Kultur den Überschwang jugendlicher Lebensfreude in den Fokus seiner Fotografie. Eine Revolution.

Als Malick Sidibé geboren wurde, hieß Mali noch Französisch-Sudan. Als der Sohn eines Schafzüchters 1952 ein Stipendium an der Ecole des Artisans Soudanais in Bamako gewann, kam er dort mit der Gesellschaftsfotografie in Berührung. Er lernte bei Gérard Guillat. Der Franzose fotografierte die Weißen. Die schwarzen Parties überließ er Malick mit seiner Brownie-Kamera. Ab 1962 betrieb der sein eigenes Studio. Samstagabends pendelte er mit seinem Fahrrad zwischen den verschiedenen Nachtclubs und In-Bars. Nach einer durchgearbeiteten Nacht hatte er sonntagmorgens die Schwarz-Weiß-Abzüge in seinem Laden hängen.

Im Westen wurde Malick Sidibé Anfang der 1990er-Jahre entdeckt. Heute sind seine Bilder - auf Großformat gezogen - Ikonen der modernen Fotografie und Bestandteile renommierter Sammlungen vom New York Museum of Modern Art bis zum Getty Museum in Los Angeles. 2007 wurde Malick Sidibé als erstem Fotografen überhaupt für sein Lebenswerk der goldene Löwe der Biennale in Venedig verliehen. Sidibé genoss die späte Anerkennung. Sein Geld allerdings gab er - " er kann nicht anders", seufzte sein Sohn Karim einmal - vor allem dafür aus, seinem alten Dorf Schulen und Erntefahrzeuge zu finanzieren, und jedem unter die Arme zu greifen, der Hilfe suchend sein Studio aufsuchte.

Was an Sidibés Fotos bis heute fasziniert: ihr authentisch malischer Soul, die tief humanistische Fusion alter und neuer Ideen. Nicht zuletzt deshalb wird sein Werk noch lange leuchten. Am 15. April starb Malick Sidibé in Bamako. Er wurde 80 Jahre alt.

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