Nachruf auf Riehl Heyse:Im feinen Ton der Ironie

Riehl-Heyses Themen waren die große Politik und ihre kleinen Randerscheinungen sowie die Partei, die das schöne Bayern erfunden hat. Ein Nachruf von Gernot Sittner

(SZ v. 24.04.2003)

Ein besonderes Gespür, sich in die Situation der Menschen zu versetzen, die er in seinen Reportagen beschrieb, in ihr Denken und Fühlen, gehörte zu den hervorragenden Eigenschaften, die den Journalisten Herbert Riehl-Heyse ausmachten. Begabt mit dieser besonderen Feinfühligkeit, kämpfte er in den vergangenen Jahren auch den Kampf gegen seine Krankheit. Nicht, dass er darüber mutlos und verzweifelt geworden wäre, nicht, dass er den Prognosen der Ärzte von Grund auf misstraut hätte; aber er kannte sich selbst am besten - und ließ das seine Freunde und Kollegen, auch die Ärzte, auf die ihm eigene selbstironische Art gelegentlich wissen.

Herbert Riehl-Heyse wehrte sich gegen seine Krankheit, indem er seinen Beruf weiter ausübte, indem er recherchierte und schrieb. Seine Leser konnten (und sollten) nicht erfahren, wie es um ihn stand. Es war seine Art der Therapie. Gerade in den zurückliegenden Monaten war er in der Süddeutschen Zeitung als ein Autor präsent, der alle journalistischen Formen beherrscht, den Leitartikel und die Glosse, die Kolumne ("Zwischenzeit" und "Unter Bayern"), das Essay und sogar den Comicstrip, in dem er jeden Samstag die Erlebnisse des Abgeordneten Max Froschhammer zu Protokoll gab. Zu behaupten, dass Herbert Riehl-Heyse in den mehr als drei Jahrzehnten, die er dieser Redaktion angehörte, das Profil der Süddeutschen Zeitung wesentlich und dauerhaft mitgeprägt habe, bedeutet deshalb keine Übertreibung. Das Streiflicht und die große Reportage auf SeiteDrei, die Markenzeichen dieser Zeitung, verknüpfen sich mit seinem Namen. Was er unter diesen Rubriken formulierte, war glanzvoll.

Er war thematisch so wenig fixiert wie formal; er wollte kein Spezialist sein, auch wenn es in seinen jungen Jahren danach aussah. Denn sein erstes großes politisches Thema blieb ihm über viele Jahre: die CSU ("Die Partei, die das schöne Bayern erfunden hat", wie er im Untertitel eines seiner Bücher behauptete) und ihr Vorsitzender Franz Josef Strauß, ihr innerparteiliches Leben, die Konflikte mit der Schwesterpartei und deren Vorsitzendem, ihr Umgang mit der Macht und ihre Rolle als Oppositionspartei.

Die Art, in der Herbert Riehl-Heyse sich dieses Themas annahm, stellte sein frühes journalistisches Meisterstück dar. Als geborener Altöttinger stark vom ländlichen, katholischen Milieu geprägt, hätte er durchaus der Versuchung erliegen können, Leitartikel und Reportagen über die bayerische Staatspartei als Abrechnung, als Bruch mit seinem Herkommen anzulegen, zumal da er seine journalistische Laufbahn bei der Münchner Katholischen Kirchenzeitung begonnen hatte. Riehl-Heyse wurde weder aggressiv noch hämisch, gerade dann nicht, wenn die Umstände dazu verleitet hätten, sondern blieb auf Distanz, auch und gerade gegenüber Figuren der bayerischen Politik, die er privat zu seinen Bekannten zählen konnte. Vor dem zynischen wie dem allzu vertraulichen Ton bewahrte ihn seine besondere Gabe, die Ironie, hinter der sich - bei allen kritischen Vorbehalten gegenüber Zeitgenossen, die er porträtierte - Respekt, nicht selten auch Zuneigung verbarg.

Diese Grundhaltung, die seine Ausbildung zum Juristen noch gefestigt haben mag, prädestinierte ihn auch dafür, sich als Reporter sowohl der Ereignisse der großen Politik als auch jener Themen anzunehmen, die auf den ersten Blick eher unerheblich und unscheinbar, über den Zustand einer Gesellschaft im Allgemeinen und ihre politische Klasse im Besonderen oft mehr aussagen als Wahlkämpfe oder Bundestagsdebatten. Er berichtete über die großen Parteitage und Wahlnächte, als sie noch spannend waren, er reiste mit Johannes Rau nach China und mit Karl Carstens durch die USA, begleitete Hans-Jochen Vogel durch die ehemaligen Satelliten-Staaten der Sowjetunion und beobachtete Gerhard Schröder im Finale des Wahlkampfs2002.

Riehl-Heyse hielt es aber für genauso spannend, in Reportageform der Frage nachzugehen, wie eine Tariferhöhung des Münchner Verkehrsverbundes begründet wird und ob sie gerechtfertigt sei, oder zu beschreiben, wie nach dem Tod von Rudolf Kempe die Stadt München für ihre Philharmoniker einen neuen Generalmusikdirektor suchte - eine Recherche, an der Herbert Riehl-Heyse über Jahre dran blieb, bis endlich Sergiu Celibidache berufen worden war. Und viele seiner Reportagen fügen sich zu einer Chronik des langwierigen Prozesses der deutschen Wiedervereinigung, angefangen mit seinem Bericht über die "Entdeckungsfahrt zu den fremden Verwandten" im thüringischen Sonneberg, die an Weihnachten1972 durch die Annäherung zwischen Bonn und Ostberlin möglich geworden war.

Auf dem weiten Feld des Sports, bei Olympischen Sommer- und Winterspielen wie bei großen Fußball-Ereignissen, verbrachte Herbert Riehl-Heyse fast ebenso viele Stunden der Recherche wie auf Parteitagen. Die Distanz, die er bei aller Leidenschaft zu wahren wusste, verband sich dabei immer wieder mit verblüffender Kennerschaft. Das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft1974 war natürlich ein "Riehl-Thema". Für die SeiteDrei ging es nicht darum, einen mehr oder weniger dramatischen Spielbericht ins Blatt zu bringen, sondern die Stimmungslage vor dem Anpfiff zu beschreiben, am Ende eines Turniers, das auch ein politisches Ereignis war, weil zwei deutsche Mannschaften im Wettbewerb standen. Riehl-Heyse gab die Reportage am frühen Nachmittag in der Redaktion ab, bevor er sich auf den Weg ins Stadion machte, um von dort nach Spielende noch den letzten Absatz durchzugeben: "Ich hab' mal vorsorglich die Deutschen durch ein Tor von Gerd Müller in der ersten Halbzeit 2:1 gewinnen lassen", sagte er. Er brauchte an der Reportage nichts mehr zu ändern.

Für Herbert Riehl-Heyses Art, journalistisch zu arbeiten, ein eher untypisches Beispiel. Wie nur wenige Kollegen hat er mit den Jahren die Reflexion über den eigenen Beruf zu seinem Thema gemacht - in Leitartikeln, Kommentaren auf der Medienseite, in Essays und in Büchern: "Götterdämmerung. Die Herren der öffentlichen Meinung", "Bestellte Wahrheiten. Anmerkungen zur Freiheit eines Journalisten", "Arbeit in vermintem Gelände" - weder diese Bücher noch die vielen Beiträge zu diesem Thema in der SZ waren als Abrechnung oder Anklage intoniert. Herbert Riehl-Heyse hat es immer mit der alten Reportermaxime gehalten, dass die Tatsachen, wenn sie nur penibel recherchiert und präzise dargestellt sind, für sich sprechen - ob es nun um die blamable Prozedur einer Intendanten-Wahl, um Krise oder Einstellung einer Zeitung, politische Pressionen auf Medienunternehmen oder eine so wichtige Nebensache wie die Kür eines Eurovisions-Songs geht. Wobei der Grundton der Ironie, der auch diese Reportagen bestimmt, nichts mit Resignation zu tun hat, sondern eher die Liebe und Leidenschaft des Autors zu seinem Gegenstand verdeckt.

Zurückhaltend und bescheiden, wie es seinem Altöttinger Naturell entspricht, würde Herbert Riehl-Heyse die Behauptung nicht gelten lassen, dass er der Süddeutschen Zeitung, den Medien überhaupt, ein journalistisches Vermächtnis hinterlassen hat. Von den vielen Preisen, mit denen er für seine Arbeit geehrt wurde, abgesehen: Die Zeugnisse seines journalistischen Lebens, zum Beispiel die auf dieser Seite dokumentierten, belegen sein großes und bleibendes Verdienst.

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