Nachruf:Auf der Tonspur

Sein Hauptwerk "Dichter lesen" erkundete die Spuren von Rezitationen und Lesungen. Nun ist der Archivar Reinhard Tgahrt gestorben.

Von Lothar Müller

So erfolgreich hat die populäre Metaphorik die Archive in den Staub eingehüllt, der angeblich auf ihren Akten, Dokumenten und Manuskripten liegt, dass ein Archivar sich erst einmal kräftig schütteln muss, wenn er als Autor ans Licht der Öffentlichkeit tritt. Das deutsche Literaturarchiv in Marbach am Neckar war seit seiner Gründung im Jahr 1995 ein Ort der schreibenden Archivare, nicht zuletzt durch die Serie der "Marbacher Magazine", die große und kleine Ausstellungen, Funde und Neuerwerbungen begleitete.

Reinhard Tgahrt, der 1936 geboren wurde, war seit 1967 als Bibliothekar im Archiv angestellt. 1989 wurde Tgahrt Leiter der Marbacher Bibliothek und blieb es bis 2000. Seine Autorschaft entwickelte er hinter der Maske des Herausgebers. Die kleinen Formen des Kommentars, der Miszelle, der biografischen Skizze waren seine Spezialdisziplin. Er stellte seinen Landsmann Oskar Loerke vor, der wie er selbst aus dem Weichselgebiet stammte, den Verleger Eugen Claassen, Kurt Pinthus, den Herausgeber der expressionistischen Anthologie "Menschheitsdämmerung", den Dichter Johannes Bobrowski, verantwortete den Katalog zur "Weltliteratur" (1982) und zur Lust am Übersetzen.

Sein Opus Magnum, die dreibändige Anthologie "Dichter lesen" (1984-1995) erschloss lange vor dem Aufkommen der Hörbücher das schriftliche Echo der Rezitationen und Autorenlesungen von der Goethezeit bis in die Weimarer Republik. Es ist bis heute ein Standardwerk der akustischen Literaturgeschichte geblieben. Am Samstag ist Reinhard Tgahrt in Ludwigsburg gestorben.

© SZ vom 04.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: