Nachrichten aus dem Netz:Text, der Code entschlüsselt

File illustration of a projection of binary code around the shadow of a man holding a laptop computer in an office in Warsaw

Die virtuelle Schnitzeljagd führt von einer codierten Nachricht zur anderen.

(Foto: Kacper Pempel/Reuters)

Alle benutzen heutzutage Computer, niemand versteht sie. In einem sagenhaften Essay nimmt sich der Autor Paul Ford des Problems an. Wer ihn liest, wird doppelt belohnt.

Von Michael Moorstedt

Computer sind überall. In unseren Uhren, Aufzügen, Flugzeugen, Geldautomaten und Autos. Diese Tatsache lässt sich gut ausblenden. Weil ihre Programmierung, weil ihr Code funktioniert. In einem epochalen, 38 000 Wörter umfassenden Essay, der Journalisten ebenso neidisch macht wie IT-Experten, geht der Programmierer und Autor Paul Ford für Bloomberg Businessweek der Frage nach, was diese Zeichenfolgen eigentlich sind, auf denen unsere moderne Welt fußt und ohne die jeder Computer nur eine Skulptur aus Metall und Silizium wäre. Ford findet Sätze von großer Klarheit. Zum Beispiel diesen hier. "Computer sind nur Uhren mit gewissen Vorzügen. Sie lösen Matheaufgaben auf Zweite-Klasse-Niveau, eine nach der anderen. Sie tun das nur unendlich schnell." Computer, schreibt er in Anlehnung an den britischen Maler William Morris, seien "nur das Arbeitsmaterial, der Code ist die Kunst."

So lange alles funktioniert wie es soll, bekommt der Nutzer den Code nicht zu Gesicht. Das macht ihn obskur. Auf der Länge eines halben Romans liefert Ford zu gleichen Teilen Wörterbuch und kulturanthropologisches Traktat, so weit entfernt wie nur möglich vom üblichen stromlinienförmigen Technik-Journalismus.

Hineingewoben sind immer wieder Prosafragmente, die einen anonymen Softwaremanager von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt begleiten und die sich lesen, als hätte sich Tom Wolfe unter die Programmierer geschlichen. Zugleich entmystifiziert Ford die Programmierersubkultur und zeichnet den Großteil jener modernen "Masters of the Universe" als arme Würste, denen es nicht viel besser ergeht als jenen Menschen, deren Arbeit durch Programme und Apps wegrationalisiert wird.

Mindestens ebenso interessant wie der Inhalt ist die Aufmachung des Textes im Web. Während Bloomberg offline das komplette Magazin für Fords Tour de Force freigeräumt hat, ist der Essay online ein Storytelling-Experiment, komplett mit animierten Gifs, dynamischen Fußnoten und interaktiven Programmierbeispielen, psychedelisch vor sich hin wabernden Hintergründen und einem eigenen Softwarebot.

Das Pixelmännchen, das Anleihen an Microsofts viel gehasster Büroklammer Clippy nimmt, führt durch den Text und stellt sicher, dass sich der Leser nicht verliert. Wer sich durchkämpft, bekommt ein Zertifikat ausgestellt, wird aber vor allem mit einem besseren Verständnis für Computer belohnt.

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