Nachrichten aus dem Netz:Geister in Maschinen

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Soweit bekannt, stirbt jeder Mensch irgendwann. Die Frage ist jetzt: Was geschieht mit seinem digitalen Nachlass? Start-ups haben phänomenale Ideen, zum Beispiel, eine Art digitalen Geist zu erschaffen. Kann das gut gehen?

Von Michael Moorstedt

Als Josephine Wolffs Großmutter vor einigen Monaten starb, hinterließ sie ihrer Enkelin neben ein bisschen Schmuck, Klamotten und Büchern auch ihren iMac. Es seien nicht die analogen Erbstücke, die die meisten Erinnerungen hervorrufen und den Verlustschmerz am zuverlässigsten lindern würden, sondern der vermeintlich so kühle Computer, schreibt die IT-Sicherheitsspezialistin Wolff in einem Stück für die New York Times.

Auf dem Rechner fand Wolff private Gedankenfragmente, die sie ihrer Großmutter näher bringen. Damit ist sie freilich nicht allein. Schließlich wird unser Leben in sozialen Netzwerken, E-Mail-Postfächern und Dateiordnern detaillierter und oft auch persönlicher dokumentiert als jedes Tagebuch es jemals vermochte. Doch wie geht man um mit dem digitalen Nachlass? Noch elementarer: Wie geht man überhaupt sicher, dass Angehörige oder Freunde Zugang zu all den Spuren im Netz erhalten?

Google stellt bereits seit einiger Zeit eine Art Totmannschalter für seine Nutzer zur Verfügung. Mit dem recht unprosaisch "Kontoinaktivitäts-Manager" genannten Werkzeug kann man sicher stellen, dass ausgewählte Kontakte nach einer vorbestimmten Zeit Zugriff auf alle Google-Dienste erhalten. Jedes in der Cloud gespeicherte Foto, jeder nachts geschriebene und nie abgeschickte E-Mail-Entwurf steht den Erben dann zum Download bereit.

Als das "Ultimative Selfie" beschreibt die Digital-Künstlerin Jacquelyn Morie diese Sammlung von Dateien in einem Essay. Es sei nur die Frage, wie der unheimlich komplexe Datenberg, der ja ein ganzes Leben ausmacht, nutzbar gemacht und sinnvoll dargestellt werden könnte.

Ist man eigentlich wirklich tot, wenn man im Rechner weiterlebt?

Doch da es der IT-Branche traditionsgemäß wenig an Selbstvertrauen mangelt, schicken sich gleich mehrere Start-Ups an, mal eben das Problem mit der Unsterblichkeit zu lösen. Den Wunsch nach Verewigung hat man sich bei eterni.me schon in den Firmennamen geschrieben. Die Idee der Gründer geht so: Zeit seines Lebens gewährt man dem Service Zugriff auf sämtliche digitale Interaktionen. Jedes Facebook-Update, jedes hochgeladene Foto und der komplette Standortverlauf werden gesammelt, gefiltert und analysiert, um damit einen virtuellen Avatar zu füttern, der nach dem Abtritt die eigene Persönlichkeit simulieren soll.

Je öfter man zu Lebzeiten mit dem Programm interagiert, desto realistischer soll die Simulation am Ende werden. Noch die eigenen Ururenkel könnten so den Vorfahren kennenlernen und von ihm lernen, sagt einer der Gründer. Er meint das völlig ernst - und trifft offenbar einen Nerv. Knapp 30 000 Menschen haben sich schon für einen geschlossenen Beta-Test bei seinem Start-Up angemeldet.

Einen ähnlichen Ansatz, nur mit noch mehr Machbarkeitswahn versetzt, verfolgt eine australische Computerspielfirma seit kurzem mit ihrem sogenannten Project Elysium. Auch hier soll ein Programm die Vorfahren simulieren, die außerdem vor ihrem Ableben präzise von einer Kamera eingescannt würden, um so ein realitätsgetreues Abbild zu erzeugen. Mittels einer Virtual-Reality-Brille würde man den lieben Toten in einer 360-Grad-Umgebung und in 3D begegnen, die dann "aus einem Nebel hervortreten" sollen. Und so bringen die Programmierer nicht die Toten zurück. Sondern erschaffen Geister in Maschinen.

© SZ vom 18.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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