Nachrichten aus dem Netz:Ein dunkles Loch

Netztheoretiker und -kritiker sind beunruhigt über die Speicherkraft der neuen Medien. Wird die Zukunft ein schwarzes Loch, verschwindet die Gegenwart in einer Wolke?

Vint Cerf trägt einen akkurat getrimmten, graumelierten Bart und außerdem eine Menge Bedenken mit sich herum. Der Mann ist Chief Evangelist bei Google, steht also über dem Tagesgeschäft des Megakonzerns. Er mache sich Sorgen um die Zukunft, erklärte er neulich, oder besser: Um unsere digitale Gegenwart. "Wenn wir 1000 oder 3000 Jahre vorausschauen", so Cerf, "müssen wir uns fragen, wie wir all die Bits bewahren können, die wir benötigen, um unsere digitale Welt darzustellen. Ohne es zu merken, werfen wir all unsere Daten in ein potenzielles schwarzes Loch."

Das Szenario eines solchen digitalen dunklen Zeitalters ist nicht neu. Software und Speichermedien sind flüchtiger, als man gemeinhin annehmen könnte, DVDs verrotten, und kaum ein Mensch kann noch Programme zum Laufen bringen, die vor zehn Jahren der neueste Stand waren. Dieses Problem behandelt Abby Smith Rumsey in ihrem eben erschienenen Buch "When We Are No More". Hier legt sie nicht nur eine kleine Kulturgeschichte der Wissensbewahrung vor, sondern erklärt auch, warum Abspeichern nicht gleichbedeutend mit Erinnern ist. Wird die Geschichte des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts "in der Cloud verloren gehen", wie es der Netzkritiker Nicholas Carr ausdrückt?

Diese Aussicht treibt die Menschen zu Projekten, die sich so genial wie verzweifelt anhören - und dadurch vor allem rührend wirken. In den Laboren renommierter Universitäten versuchen sich Forscher daran, mikroskopisch kleine Strukturen in Kristalle zu fräsen. Die amerikanische Kongressbibliothek kämpft derweil seit Jahren mit dem Vorhaben, jede gesendete Twitter-Nachricht zu archivieren. Zuletzt startete die deutschsprachige Wikipedia-Gemeinde ein Projekt, das in den kommenden Jahren ein 20-Gigabyte-Archiv der Enzyklopädie auf dem Mond deponieren soll. Und es geht noch sagenhafter: In der vorigen Woche sicherte sich Microsoft eine Charge von zehn Millionen Strängen künstlich hergestellter DNA. Die Moleküle können nicht nur Erbgut, sondern auch sämtliche anderen Daten speichern. Sie überdauern Jahrtausende und sind extrem aufnahmefähig. In einem Kubikmillimeter DNA lässt sich ein Exabyte - eine Milliarde Gigabyte - Daten speichern. Immerhin halb so viel, wie jeden Tag auf der Welt produziert wird.

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