Nachrichten aus dem Netz:Die ekelhafte Zukunft

Google stellt "Super Chat" vor: Zuschauer können damit ihre Youtube-Kommentare hervorheben lassen.

Von Michael Moorstedt

Mitte Mai brodelt das Silicon Valley traditionsgemäß. Da gibt es dann noch mehr Magie und bessere Zukunft als ohnehin schon. Denn dann findet die Entwicklerkonferenz "I/O" von Google statt. Neben virtueller Realität, künstlicher Intelligenz und den üblichen Fabel-Technologien ging es in der vergangenen Woche auch um eine vergleichsweise simple Neuerung. Sie heißt "Super Chat".

Was steckt dahinter? Neben der Erkenntnis, dass die PR-Leute im Silicon Valley schon kreativer waren bei der Benennung ihrer Produkte, geht es darum, dass Zuschauer ihre Kommentare auf einem Youtube-Livestream gegen eine Gebühr hervorheben und für eine gewisse Zeit an oberster Stelle festpinnen lassen können. Je mehr Geld man bezahlt, desto prominenter wird die eigene Meinung markiert. Für fünf Dollar wird sie mit einem harmlosen Blau unterlegt, für 500 gibt es dann schon ein grelles Rot.

Zwar wurde der Super Chat bereits Anfang des Jahres freigeschaltet, nun wurde aber von einer geradezu irritierend gut gelaunten Moderatorin noch einmal ausgiebig auf die Vorzüge des Systems hingewiesen. Neu ist außerdem, dass durch das Posten einer Super-Chat-Nachricht diverse Funktionen auf Seiten des Streamers aktiviert werden können. Studiolichter könnten ein- oder ausgeschaltet, ein Knopf gedrückt oder ein Ton abgespielt werden. Als Beispiel wurden in der Google-Präsentation zwei Tester mit mehreren Dutzend Wasserbomben eingedeckt. Youtube vermarktet die Funktion quasi als "Trinkgeld", das Fans ihren bevorzugten Videoproduzenten direkt spenden können. Dass sich die Videoplattform von dem Betrag einen gewissen Prozentsatz abknapst, versteht sich von selbst.

Man muss das nicht toll finden. Geldvermögen schafft Meinungsmacht, diese Gleichung sollten die sozialen Medien ja eigentlich einmal abschaffen. Sichtbar sollte das sein, was am häufigsten geteilt und am besten bewertet wird. Sollte das Super-Chat-Modell Schule machen, dann würden aber nicht mehr diejenigen mit den meisten Followern, den einsichtsreichsten Kommentaren oder den originellsten Inhalten gehört werden, sondern diejenigen mit der meisten Kohle.

Man kann diese Entwicklung auch weiterspinnen, schließlich haben auch andere große Plattformen wie Facebook oder die von Amazon übernommene Videospielstreaming-Seite "Twitch" ähnliche Funktionen. Wie wäre es etwa, wenn man die langweiligen Posts des Nachbarn, der Schwiegermutter, des Chefs nicht mehr unauffällig stumm schalten könnte, weil diese sich eine Lizenz zum schlau Daherreden erkauft haben? Jeder würde zum Werbetreibenden in eigener Sache und das ausgerechnet in einer Zeit, in der es um den guten Ton im Internet sowieso nicht gerade zum Besten bestellt ist.

Eine andere, kaum weniger unangenehme, aber nichtsdestotrotz logische Konsequenz der Bezahlkommentare hat mit der neuen Funktion zu tun. Wasserbomben sind ja nur ein harmloses Beispiel. Wie die Erfahrung zeigt, sind die menschlichen Abgründe im Internet aber oft bodenlos. Um möglichst viel Super-Chat-Geld einzunehmen, könnten die Youtuber, wie man sie nennt, versucht sein, sich gegenseitig mit immer abseitigeren Live-Aktionen zu überbieten. Vergammelte Lebensmittel essen für 50 Dollar, sich selbst eins mit dem Knüppel überziehen für 500 Dollar - so könnte sich schon bald die globale Reichweite von Internet-Livestreaming mit dem Ekel-Repertoire von Dschungelcamp und Konsorten vermischen. Das wird so super.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: