Nachrichten aus dem Netz:Die Dealer des Silicon Valley

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Die Designer von Apps und Websites tun alles, um die Nutzer so lange wie möglich bei sich zu behalten. Der frühere Google-Mitarbeiter Tristan Harris hält das für unmoralisch und wirbt für eine digitale Ethik.

Von Michael Moorstedt

Für manche Menschen im Silicon Valley ist Tristan Harris ein Verräter. Der Mann war einmal Teil dieser Welt, war bei Google angestellt, als "Produkt-Philosoph". Seit einigen Monaten aber hat Harris nichts anderes im Sinn, als die Regeln der Branche umzuwerfen. Nach denen ist es umso besser, je mehr Zeit ein Nutzer auf einer Website verbringt. Mehr Zeit bedeutet mehr Werbeeinnahmen. Weniger Zeit mit den Geräten zu verschwenden, ist aber gar nicht so einfach. Die Technologie "kapert die Gehirne der Menschen", so Harris. In unseren Taschen steckten keine Mobiltelefone, sondern Spielautomaten. Der in Frage stehende Gewinn besteht aus Likes, Retweets und all den anderen Erfolgssignalen. Jeder Griff zum Smartphone verspricht eine Dopamin-Ausschüttung.

Für Smartphones und andere "wireless mobile devices" benutzt Harris deshalb die Abkürzung WMD, das englische Akronym für Massenvernichtungswaffen. Dennoch sind die digitalen Technologien für Harris nicht inhärent bösartig. Sie werden erst vom Menschen dazu gemacht. Längst sind Psychologen und Verhaltensökonomen an der Entwicklung der interaktiven Features von Apps und Websites beteiligt. Typische Beispiele sind für Harris etwa, dass man auf Facebook sehen kann, ob Nachrichten gelesen wurden oder dass man in zahlreichen Chat-Apps mitverfolgen kann, ob oder wann der Gesprächspartner einen Text eintippt. All das nötigt den Nutzer, weiter mit der App, der Website, dem Programm zu interagieren.

Um diesem Sog etwas entgegenzusetzen, hat Harris die Bewegung "Time Well Spent" gegründet. Gutes Design müsse nicht suchterzeugend sein, sagt er. Schon heute können Programmierer dort ihre Apps evaluieren lassen. Etwa danach, ob sie den Nutzern die Möglichkeit bieten abzuschalten, ohne sie psychologisch unter Druck zu setzen.

Harris schwebt ein Gütesiegel für Software vor, die auf Zeitverschwendungsmaximierung verzichtet. All die Programmierer und Designer sollten endlich Verantwortung für ihr Tun übernehmen. Niemals zuvor habe eine so kleine Gruppe von Menschen - meist jung, weiß, männlich und bei drei bis vier Firmen in der Bay Area angestellt - so großen Einfluss darauf gehabt, wie Milliarden Menschen ihre Zeit verbringen.

© SZ vom 17.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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