Nachbericht:Worum es geht

Musikalische Lebensschule: das Gitarrenfestival Hersbruck

Von Oliver Hochkeppel, Hersbruck

Kritik wird beim Internationalen Gitarrenfestival Hersbruck schnell zur Beckmesserei, das verdeutlichte der Auftritt von Pepe Romero: Regelrecht erschrocken war man, als der Meister der spanischen Gitarre den Einstieg mit Maurice Ravels "Pavane pour une enfante defunte" komplett versemmelte. Nachdem er sich warmgespielt und auch die in der schwülwarmen Luft schwer zu stimmende Gitarre unter Kontrolle hatte, beherrschte er seine Spanier von Tarrega, de Falla und Albéniz bis Malats, Turina und Rodrigo gewohnt souverän; sein Programm versammelte ja "Los españoles de Ravel", also die spanischen Freunde des Franzosen zu einem fiktiven Hausmusikabend. Mag sein, wie jemand murmelte, dass der 73-Jährige "seinen Zenit überschritten hat", aber dieses Repertoire spielt er immer noch wie kein anderer.

Rechnet man den Auftritt mit seinem Familienensemble Los Romeros mit, dann war Romero bereits zum vierten Mal in Hersbruck. Und er ist nicht der einzige Weltstar, der sich immer wieder im August ins Nürnberger Land aufmacht, obwohl dort niedrigere Gagen und weniger Komfort als anderswo warten. Verantwortlich für diesen Zuspruch ist vor allem der künstlerische Leiter Johannes Tonio Kreusch. Seit er vor zwölf Jahren das Heft in die Hand nahm, hat er aus einem besseren regionalen Gitarren-Workshop eines der wichtigsten Festivals in Deutschland gemacht. Auch im 18. Jahr konnte man gut sein Rezept dafür erkennen.

Anders als bei den meisten Festivals wird hier das gesamte Spektrum der akustischen Gitarre ausgebreitet, in den Konzerten wie im konkurrenzlos umfangreichen und offenen Rahmen- und Schulungsprogramm. Weil auch kein Wettbewerb ausgetragen wird - und weil Kreusch noch im größten Trubel sein ansteckend freundliches und ausgleichendes Naturell behält - ist die Atmosphäre so locker und familiär wie nirgends. Was wiederum selbst die größten Stars beeindruckt. Viele Schüler und den Dresdner Gitarrenbauer Jost von Huene freilich auch. Er hat heuer hier zum ersten Mal seinen Stand aufgebaut: "Hersbruck ist wirklich einzigartig. Auch ich komme sicher wieder."

Für den einzigen enttäuschenden Auftritt der Festivalwoche konnte Kreusch nichts. Hatte er doch erstmals einen Abend von einem seiner Stars kuratieren lassen: Der Brite Jon Gomm, bekannt für seine überwältigenden Perkussions-, Tapping- und Umstimm-Orgien an den Stahlsaiten, hatte neben dem souveränen österreichisch-amerikanischen Kollegen Tommy Leeb auch seinen Landsmann Ryan Stuart eingeladen. Stuart erlaubte sich eine launige Bemerkung: Er komponiere Musik, die auf dem dänischen Wetterkanal laufe - dass er ebensolches Gedudel dann auch bei seinem Auftritt folgen ließ, war da noch nicht zu ahnen.

Ansonsten folgt jedoch Höhepunkt auf Höhepunkt: Von den bestechenden Klassikern Marcin Dylla, Ricardo Gallen und dem italienischen Duo Devecchi & Seminara, die manch sprödes Spezialistenstück einem breiten Publikum öffneten - alle Konzerte waren ganz oder nahezu ausverkauft - über den vorsichtigen Flamenco-Evolutionär Carlos Piñana oder den Jazz-Alleskönner Ulf Wakenius bis zum bärbeißigen Genie der brasilianischen Gitarre Yamandu Costa. Costa ist im Moment der Wuchtigste von allen, der hier im ungeprobten "Jam"-Duett mit seinem legendären Vorgänger (und Hersbruck-Publikumsliebling) Carlos Barbosa Lima ein nicht zu überbietendes Finale hinlegte. Selbst das Abschlusskonzert der Studenten mit der Uraufführung eines schmissigen, clever kanonartig verteilten Stücks des Ensemble-Dozenten Jürg Kindle war so überzeugend wie selten in der Vergangenheit.

Wer wissen will, was solchen "magischen Momenten" (wie ein Stück von Wakenius heißt) zugrunde liegt, muss mal beim Unterricht zuschauen. Meister wie Romero geben dort weiter, worum es in der Musik wie im Leben geht. Und sie lernen dabei selbst. Warum sonst hätte Romero, anderswo im Grandhotel logierend, darauf bestanden, wie die anderen im rustikaleren AOK-Schulungszentrums zu wohnen und seine vier Stunden Meisterklasse auf zehn aufzustocken.

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