"Mystic River":Johanniswürmchen in der Nacht der Seele

"Mystic River" ist Clint Eastwoods vierundzwanzigste Regiearbeit, wahrscheinlich einer seiner besten Filme, bestimmt aber sein düsterster und schmerzlichster.

SUSAN VAHABZADEH

Das beste Argument gegen die Existenz Gottes ist der Zustand der Welt, das beste Argument dafür, dass die Menschen nicht vergessen können, dass sie eine Seele haben, die auf ewig Schaden nimmt.

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(Foto: Foto:)

Clint Eastwoods "Mystic River" beginnt mit einem melancholischen Blick zurück, ein Schwenk über den Fluss, dann sieht man drei Jungen spielen auf der Straße in einem schäbigen Viertel von Boston. Bis ein schwarzer Wagen heranfährt, zwei Männer sind drin, einer ein Priester, der andere gibt sich als Polizist aus, sie jagen den Jungen Angst ein, die ihre Namen in nassen Zement auf dem Gehsteig geritzt haben wie in eine Grabtafel: Sean, Jimmy, Dave.

Die Männer nehmen den kleinen Dave Boyle mit - aus dem Verlies, in dem sie ihn gefangen halten und missbrauchen, wird er zwar fliehen und doch sein ganzes Leben darin gefangen bleiben. "Mystic River" erzählt von ein paar entscheidenden Tagen im Leben dieser Jungen, viel später, wenn sie erwachsen sind - wenn die Traumata die Dinge zur Eskalation bringen.

Den Roman "Mystic River" von Dennis Lehane hat der "L. A. Confidential"- Autor Brian Helgeland für Eastwood adaptiert - als eine Fortschreibung der Geschichte von Städten, die von innen heraus kaputt gehen. Ein Drama über unheilbare Wunden, die Ketten von Ereignissen, die ein Leben nach dem anderen ruinieren, im Gewand eines Krimis: Sean (Kevin Bacon) ist dem Viertel in Boston als einziger der drei Jungen entflohen, mehr mit seinen Eheproblemen beschäftigt als mit den Schatten der Kindheit.

Er ist ein Cop, der nur zurückkehrt, weil er an den Tatort eines Verbrechens gerufen wurde - ein blutverschmierter Wagen steht mitten auf der Straße. Die übel zugerichtete Mädchenleiche, die bald gefunden ist, ist die älteste Tochter von Jimmy (Sean Penn). Was soll ich ihm sagen, fragt Sean, Gott hatte noch eine Rechnung bei dir offen und nun ist er kassieren gekommen?

Es ist aus der Mode gekommen, Geschichten im Kino zu erzählen, die wirklich weh tun, von der Welt und den Menschen erzählen, wie sie sind. . . "Mystic River" ist Clint Eastwoods vierundzwanzigste Regiearbeit, wahrscheinlich einer seiner besten Filme, bestimmt sein düsterster, schmerzlichster.

Eine unaussprechliche, existenzielle Verzweiflung an der Welt gibt den Ton vor in "Mystic River", die sich mehr noch als in den Bildern - Eastwoods Boston ist eine blaukalte, schmutziggraue Stadt - in der Musik niedergeschlagen.

Eastwood hat für diesen Film selbst den Score geschrieben, eine im besten Sinne pathetische, traurige Musik, wie man sie lange nicht gehört hat im Kino. Wie trostlos muss man die Dinge finden, die man sieht, bis einem solche Melodien einfallen? Aber über die Musik lässt sich vielleicht am leichtesten erklären, dass etwas gleichzeitig zum Heulen und wunderschön sein kann.

Die Geschichte, die Eastwood voller unauffälliger Spiegelungen erzählt, fließt von dem Verbrechen an Dave zu dem Mord an Jimmys Tochter wie der schmutzige Mystic River durch Boston.

Alles, womit Sean zu tun bekommt bei seinen Ermittlungen, erzählt von schrecklicher Vergangenheit: Dave (Tim Robbins), durch seine Frau inzwischen mit Jimmy verschwägert, gehört zu den Leuten, die das Mädchen zuletzt gesehen haben, Ungereimtheiten tauchen auf in seinen Aussagen - er sei überfallen worden in dieser Nacht, erzählt er seiner Frau, Sean tischt er eine andere Geschichte auf.

Und Jimmy ist wild entschlossen, den Tod seiner über alles geliebten Tochter zu rächen - das Kind seiner verstorbenen ersten Frau, der Grund, dass er sein Leben auf die Reihe bekommen musste, sich aus seinem kleinkriminellen Sumpf zu befreien. Er ist bereit, die mühselig aufgebaute bürgerliche Existenz zu riskieren für diese Rache.

Das diffuse Böse, das die Männer aus dem schwarzen Wagen ins Viertel getragen haben, breitet sich aus wie eine ansteckende Krankheit unter diesen Menschen.

Die schlimmsten sind die Scheinheiligen - Jimmys zweite Frau (Laura Linney), die eifrige Kirchgängerin und böse Stiefmutter, die mit Unschuldsmiene Intrigen spinnt; ihre Cousine Celeste (Marcia Gay Harden), Daves Frau, die mit jedem Tag mehr zweifelt an seiner Unschuld. Jeder will in Dave den Täter sehen, alle verwickeln sich in einem Netz aus Böswilligkeit, Verrat, Rache, und den Schuldgefühlen der Verschonten. Was, fragt Jimmy, wenn ich damals in diesen Wagen hätte steigen müssen?

Die bewegendsten Szenen balancieren am Abgrund, aber sie kippen nie ins Melodramatische, Übertriebene, nicht mal in Penns gequälten Ausbrüchen, wenn er sich seines Verlusts bewusst wird.

Penn und Robbins, sind in Höchstform in "Mystic River", sie müssen die Last der Vergangenheit mitspielen - Penn gibt die bürgerliche Fassade vor, hinter der man immer die Hilflosigkeit eines desorientierten ins Straucheln geraten Jugendlichen spürt. Robbins trägt das beschädigte Kind in jeder Szene mit sich - ein seelischer Untoter. Die Kindheit, und noch mehr ihre Schrecken als ihre Entzückungen, nehmen im Traume wieder Flügel und Schimmer an und spielen wie Johanniswürmchen in der kleinen Nacht der Seele . . . Der Satz stammt aus Jean Pauls "Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei".

Eastwood treiben heute die selben Fragen, seine Charaktere sind immer am lautesten im Unrecht, wenn sie Gott anrufen.

Nur einen tröstlichen Handlungsstrang gibt es - jene Szenen, in denen Sean seine Ehe rettet, indem er nichts als abgeschlossen und verloren akzeptiert. Die anderen fügen sich auf ihren vorgezeichneten Weg, in ihr Schicksal. Am schmerzhaftesten sind die Momente, in denen man begreift, wie sehr jeder ein Gefangener ist seiner selbst, und dass die Liebe und der Hass an der selben Stelle entstehen.

MYSTIC RIVER; USA 2003 - Regie: Clint Eastwood. Drehbuch: Brian Helgeland nach Dennis Lehanes Roman. Kamera: Tom Stern. Musik: Clint Eastwood. Mit: Tim Robbins, Sean Penn, Kevin Bacon, Laura Linney, Marcia Gay Harden, Laurence Fishburne. Warner, 137 Minuten.

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