Musikvermarktung: Foo Fighters:Nackte Gier

Das neue Foo-Fighters-Album wird veröffentlicht, doch die Fans kennen es längst. Denn im Internet gibt es keine Landesgrenzen. Warum halten Plattenfirmen an ihnen fest, obwohl Bands sie unterlaufen?

Bernd Graff

Anfang April veröffentlichte die amerikanische Rock-Band Foo Fighters ihr siebtes Album: "Wasting Light". Das stimmt so nicht ganz. Denn das Album wurde in Australien, Dänemark, Finnland, Deutschland, Irland und in den Niederlanden am 8. April veröffentlich. Erst vier Tage später in den USA. Warum, das schon versteht kein Mensch. Denn, das ist inzwischen gängige Praxis im Musikgeschäft, auch diese Veröffentlichung war nur eine weitere. Die Band hatte bereits Wochen vor diesen Veröffentlichungen eine eigene Webseite zugänglich gemacht, die nichts anderes enthielt als einen Play-Button, über den man das komplette Album schon hören konnte.

Lead singer Dave Grohl of Foo Fighters performs You're So Vain at The Grammy Nominations Concert Live! Countdown to Music's Biggest Night in Los Angeles

Die Foo Fighters sind eine der begehrtesten Live-Bands - wie wichtig ihnen die Fans sind, zeigt auch der Entschluss, ihr neues Album "Wasting Light" noch vor der offiziellen Veröffentlichung im Internet zugänglich zu machen.

(Foto: REUTERS)

Noch davor, also ebenfalls weit vor den offiziellen Kontinental-Starts des Albums, haben die Foo Fighters (FF) das Album zudem bei soundcloud.com eingestellt. Auch hier kann man es seitdem in Gänze hören. Das alles trug sich zu vor dem offiziellen Verkaufsstart der Platte: Sie ist also auf Betreiben der Band hin als Musikstrom in der Welt und ist bereits Millionen mal gehört worden. Denn die Foo Fighters um einen der begabtesten und umtriebigsten Musiker unserer Tage, den ehemaligen Nirvana-Drummer Dave Grohl, füllen mittlerweile Stadien, etwa das Londoner Wembley Stadion, mit 85000 Fans.

Wenn man nun heute versucht, einzelne Songs dieser so verbreiteten Platte über Youtube abzurufen - denn auch da ist das Album selbstverständlich eingestellt worden - dann geschieht das: Es erscheint ein Fenster mit einem TV-Cartoon, neben dem steht: "This video is not available in your country. Learn more. Sorry about that." Folgt man dem Link zu "Learn more" erhält man diese dünne Erklärung: "Einige Youtube-Partner haben sich entschieden, ihre Inhalte nur in bestimmten Ländern anzubieten. Unter anderem, weil sie nur Lizenzrechte für bestimmte Regionen haben. Gelegentlich sperrt aber auch Youtube bestimmte Inhalte, um den regionalen Rechtsbestimmungen genüge zu tun. Beispielsweise sind Nazi-Inhalte nicht überall in Europa im Einklang mit dem dortigen Recht."

Dann folgt die Frage: "Waren die Hinweise hilfreich für Sie?" Offen gestanden: Nein. Sie waren das Idiotischste, was man zu dieser komplexen Problemlage vorbringen kann. Und das nicht nur wegen des immer verzögerungsfrei hervorgeholten Nazi-Totschlaghammers, der hier rein gar nichts verloren hat. Sorry, da hilft auch kein "Sorry" mehr.

Da ist ja zum einen die Absurdität einer Veröffentlichung von Werken, die längst um den Globus kreisen, bevor sie "offiziell" veröffentlicht werden. Das Album ist am Tag der vermeintlichen Erstveröffentlichung nichts anderes mehr als ein Datenträger, auf dem sich befindet, was die Welt längst kennt und mitsummt. Die Länderstaffelung der "Veröffentlichungen" macht den Vorgang nicht weniger absurd. Denn warum laufen PR-Maschinen für neue Alben kontinental versetzt, also asynchron an, während von der willkürlich in Nationen einsortierten Klientel längst global und synchron auf die Musikdaten im Web zugegriffen wird? Dorthin hat die Band sie ja selber gestellt.

Das Internet kennt keine Landesgrenzen. Es ist völlig irrelevant, ob Server mit neuen Foo-Fighters-Stücken in den USA stehen. Sie können von London, Paris, Tokio aus genauso aufgerufen werden wie von New York, San Francisco und St. Louis aus. Das scheint in den Kommunikationsstrukturen multinationaler Musik-Firmen noch nicht wirklich tief verankert zu sein.

Die Fragen nun lauten: Wie verändert sich der Werkbegriff, wenn er nicht mehr an CDs und Schallplatten - im Wortsinn - "dingfest" gemacht werden kann? Und was treibt eine Band wie die Foo Fighter dazu, die offenbar antiquierte Praxis ihrer Plattenfirmen durch Vorveröffentlichungen auszuhebeln, ja zu hintergehen?

Die nicht mehr umkehrbare Globalisierung von Datenströmen hat inzwischen alle Vorstellungen von Kohärenzen geschliffen, die man vor der Web-Vernetzung an den Begriff des Albums, des Werks, der Veröffentlichung geknüpft hat. Es ist ja nicht nur so, dass Musik-Daten - also Stücke und Alben - sofort über illegale Downloadsysteme weltweit verfügbar gemacht werden, wenn sie einmal irgendwo in der Welt sind. Das Problem beklagen Musik-Industrie und Filmbranche seit nunmehr über einem Jahrzehnt. Musik wird geladen, Filme werden "gestreamt", da muss sich niemand mehr in ein Geschäft bewegen, um anfassbare Dinge zu kaufen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum die Foo Fighters mit ihrer scheinbar subersiven Geste die Verkaufszahlen doch in die Höhe treiben.

Digitale Mundpropaganda

Es ist des weiteren so, dass netzbasierte Musik-Stores wie iTunes Alben und Einzeltitel anbieten. Das ehemals durchkomponierte Album zerfällt daher in die Summe seiner Stücke. Gekauft werden oft nur einzelne Songs, nicht mehr komplette Alben, auf die Produzenten ja auch mal Durchhängerstücke schmuggeln konnten. Die heutige Praxis des Stücke-Einzelverkaufs mag dazu führen, dass trotzdem mehr Geld mit Titeln verdient wird als früher mit Albenverkäufen. Denn erstens kann man inzwischen rund um die Uhr und von jedem Ort aus auf die Ware zugreifen, es entfallen zweitens die Kosten für Produktion und Auslieferung von Datenträgern und Menschen, die früher den Kauf eines Albums scheuten, weil ihnen etwa nur fünf von acht Titeln gefielen, sind nun drittens bereit, ausschließlich die begehrten Songs zu erwerben.

Musikvermarktung: Foo Fighters: Das Cover des neuen Foo Fighters - Albums werden nur wenige in Form einer CD kennen - die meisten Datenträger werden online gekauft.

Das Cover des neuen Foo Fighters - Albums werden nur wenige in Form einer CD kennen - die meisten Datenträger werden online gekauft.

(Foto: AP)

Die Frage ist aber bleibt: Warum konterkarieren die Foo Fighters selbst dieses neue Geschäftsmodell noch durch eine Veröffentlichung ihrer neuen Songs vor der offiziellen Veröffentlichung? Die Antwort ist simpel: Weil es ebenso cool wie gewieft ist. Die quasi offene Hintertreibung der eigenen Geschäftsinteressen untermauert den Nimbus der Band, ehrlich und ausschließlich nur aus Freude am Musizieren zu agieren. Es suggeriert einen gewollten, unmittelbaren Kontakt zu den Fans und eine geradezu rührend anarchistische Wurschtigkeit eigenen ökonomischen Interessen gegenüber.

Tatsächlich aber verschafft die scheinbar subversive Geste der Eigen-Torpedierung der Verkaufsziele dieser Band eine Verbreitung, die sie über den Einzel-Verkauf ihrer CDs niemals erreichen könnte. Denn es ist ja inzwischen so, dass Fans ihre Musikfunde sofort über Soziale Medien wie Facebook weiterverbreiten. Und zwar an den Kreis ihrer Freunde und Freundesfreunde. Und was kann im Sinne der Band wertvolleres Marketing sein als die digitale Mundpropaganda durch Empfehlung von Freunden untereinander?

Während offizielle Verlautbarungen der Industrie als bloße Reklame wahrgenommen werden und damit fadenscheinig in ihren Verkaufsinteressen, erzählt die mutmaßliche Coolness der Band eine Geschichte, die man an den digitalen Lagerfeuern der neuen Medien gerne weitererzählt. Dazu heftet man noch die Links zu der Foo-Fighters-Website an sein Facebook-Profil, auf dass sich das neue Album weiterverbreite wie ein Virus auf Ecstasy. Was im Fall der Foo Fighters auf Facebook problemlos gelungen ist: Es ist voll mit den Foo Fighters. Sollte man dahinter einen PR-Coup vermuten, dann liegt man in diesem Fall vielleicht gar nicht so falsch. Denn gerade diese Band verdient viel Geld mit ihren immer ausverkauften Tourneen. Und für die Eintrittsgelder eines mit 85000 Menschen gefüllten Stadions müssen CD-Verkäufer lange stricken.

Darum stellt sich abschließend noch eine Frage: Wie können die Lizenzinhaber der "Wasting Light"-Stücke so naiv sein, die Verbreitung der längst um den Globus kreisenden Songs durch Youtube unterbinden zu wollen - und zwar nach unterschiedlichen nationalen Kriterien? Gäbe es so etwas wie einen "Un-Satz des Jahrzehnts", so wie es ein Un-Wort des Jahres gibt, dann ist Th is video is not available in your country einer der heißesten Kandidaten auf diesen Titel.

Denn zum einen sind in diesem konkreten Fall alle Inhalte in jedem Land längst verfügbar, weil die Urheber mit ihrer Globalbeschallungs-Website ja dafür gesorgt haben. Zum anderen, weil jeder halbwegs internetversierte Mensch zwei Methoden kennt, die lächerlichen Ländersperren zu überwinden. Die banalste: Man verlässt Youtube und sucht mit Hilfe einer Suchmaschine nach dem Video auf den Servern anderer Video-Anbieter, in denen die Lizenzinhaber nicht ganz so eilfertige Gehilfen wie Youtube gefunden haben.

Die zweite Methode: Findige Nutzer anonymisieren ihre eigene Internetadresse über Anbieter wie hidemyass.com. Wer über diesen Dienst ein Youtube-Video aufruft, das eigentlich landesweit nicht verfügbar sein soll, wird nicht mehr korrekt identifiziert. Youtube-Server liefern das für "mein Land" eigentlich gesperrte Video dann problemlos aus. Mit hidemyass.com hat man sich ja auch nur als der Internet-Weltmensch ausgegeben, der man im Web ja tatsächlich ist. Noch einmal: Ländergrenzen im Internet zu ziehen, um Daten irgendwo außen vor zu lassen, ist ungefähr so, als ob man das schlechte Wetter bittet, doch nicht über Zollschranken zu ziehen, weil es die falschen Ausweis-Papiere hat.

Nun könnte man selbst hinter der absurden Länderbegrenzung eine größere PR-Strategie vermuten. Die Verknappung durch die Lizenznehmer korrespondiert dann mit der freiwilligen Piraterie durch die Urheber. Die Diskrepanz zwischen den agil anarchischen Foo Fighters und dem sie verwaltenden Apparat des musikindustriellen Establishments wirkt umso größer, je mehr sich die Band ihren Fans mit Vorab-Kostenlosem andient, während die Musik-Industrie sich ihnen willkürlich selbst dann noch verweigern will, wenn die blamable Sinnlosigkeit ihres Tuns längst um- und übergangen ist.

Vielleicht ist das ja so. Aber dann weiß man auch nicht, was man schlimmer finden soll: Die vielleicht vorhandene Dummheit der Verwaltungsetagen, die nicht darüber in Kenntnis gesetzt sind, dass sie gar nicht Herr im eigenen Haus sind. Oder ein perfides System der Steigerung von Marktwert und Umsatz der Band dadurch, dass man diese Doppelstrategie von Dummheit und Berechnung fährt, um noch besser an das zu kommen, was man an den Fans am meisten schätzt. Ihr Geld.

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