Musiktheater:Vom Zauber der Büßerin

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André Bücker, der designierte Intendant vom Theater Augsburg, inszeniert in Passau, am Landestheater Niederbayern: "La Wally", die selten gespielte Oper von Alfredo Catalani.

Von Egbert Tholl

Für Münchner Theatergänger kann es nur eine geben: Die Geierwally war und ist Brigitte Hobmeier, seit dem Zeitpunkt, als sie die Figur am Volkstheater spielte, mit höchster Emotionalität die Wucht der künstlerischen Liaison zwischen ihr und Christian Stückl verkörpernd. Nun, das ist jetzt auch schon geraume Zeit her, aber das Bild der Hobmeier als Wally blieb fest eingerahmt im kollektiven Theatergedächtnis hängen. Und man nimmt immer noch ein bisschen was davon mit, wenn man nun nach Passau fährt und dort im reizenden Haus des Landestheaters Niederbayern jenes Werk sieht und hört, das aus der Geierwally eine Opernfigur macht: Alfredo Catalanis "La Wally".

Aber Achtung: Die Wally der Oper ist eine andere als die im Roman und im Theaterstück von Wilhelmine von Hillern, auch wenn Catalani die Autorin in München und Schauplätze der Handlung in Tirol besucht hat. Die Hillern-Stückl-Hobmeier-Wally, so die Erinnerung, war geprägt von einem Leckts-mich-doch-alle-am-Arsch-Gefühl; die Opern-Wally ist in ihrer Liebe verschlossen, depressiv unfähig, überhaupt zu ihren Gefühlen zu stehen. Einmal äußerst sie sich unmissverständlich. Dann singt sie die Arie "Ebben . . . Ne andrò lontana", dass sie weg muss von den Menschen und lieber allein im Schnee leben will. Dabei hat sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht alles vermasselt, will einfach nicht den Gellner heiraten, Verwalter bei ihrem reichen Vater, den dieser für sie zum potenziellen Gatten kürte. Wally liebt Giuseppe Hagenbach aus dem Nachbarort, der liebt sie auch. Aber Stolz, Unsinn und Verstocktheit führen dazu, dass am Ende beide in einer Lawine in den Tod rauschen. Für Wally Erfüllung einer Sehnsucht, für Hagenbach einfach nur Sterben.

Die Oper, in der Catalani kurz vor seinem frühen Tod an einer interessanten Synthese aus italienischem Verismo und Wagner-Harmonik forscht, führt ein Dornröschen-Dasein, einzig die oben erwähnte Arie durchbricht hin und wieder die Ranken des Vergessens. Ein Regisseur kann mithin außer einer vagen Kenntnis der Geschichte beim Publikum nichts voraussetzen. André Bücker, der zur kommenden Saison die Intendanz in Augsburg übernehmen wird, findet dafür eine sehr gelungene Lösung: Vordergründig schaut alles erst einmal aus wie eine leicht stilisierte Dorfwelt, vor einem Fels- und Schneepanorama tragen die Menschen prächtige Trachten. Es herrscht Volksfeststimmung, der Kopf eines erlegten Bären wird gefeiert. Aber dann schleicht sich immer stärker eine irisierende Künstlichkeit ein, die die Innenwelt der Wally bloßlegt. Perchten, wilde Figuren die von einer anderen Welt künden, verschieben die drei Teile des Häuschens auf der Bühne, immer stärker bricht die Natur unheilvoll herein, auch mit einem kleinen Zaubertrick: Wally will, in verblendeter Kränkung, von Gellner den Tod Hagenbachs. Der stürzt den Widersacher um die Gunst der inzwischen reichen Frau in eine Schlucht, bei Bücker eine filmische Höllenfahrt, eine Felswand hinunter. Das überlebt er aber noch. Der Tod folgt später.

Die Bühne hat Jan Steigert gebaut, die Kostüme Suse Tobisch entworfen; zu Dritt, also zusammen mit Bücker, haben sie schon viele Inszenierungen gemacht. In Dessau, wo Bücker Intendant war, etwa Wagners "Ring". Fast wundert man sich, wie ein gesellschaftlich wacher, politisch denkender und kulturpolitisch aktiver Theatermacher wie Bücker auf einen Stoff wie "La Wally" verfällt; am Ende jedoch spielt diese Frage keine Rolle und man beobachtet fasziniert Adelheid Fink bei der psychologisch schonungslosen, büßerischen leidenden Demontage der Titelfigur.

Leider ist Frau Fink erkältet; über das, was ihre Stimme in dramatischen Höhen macht, lässt sich am Premierenabend schlecht etwas sagen, aber wie sie mezza voce Eindringlichkeit verkörpert, das ist stark. Neben dieser Figurenzeichnung bleiben die anderen Charaktere eindimensionaler. Jeffrey Nardones Hagenbach ist ein blühender Tiroler Naturbursch, Kyung Chun Kim als Gellner ein bisschen zu dauerschlechtgelaunt. Emily Fultz bringt als Walter, Wallys jugendlichem Gefährten, das bisschen musikalischen Lokalkolorit zum Leuchten, das Catalani hier hineinschrieb. Und Marc Kugel ist als Landstreicher ein beeindruckendes Orakel, wie überhaupt in dieser Oper alles, was passiert, lange vorher angekündigt wird. Auch im Orchester, das Margherita Colombo furchtlos als kleinen Haufen durch eine große Partitur und deren plastische, dramaturgisch bedeutsame Zwischenspiele führt.

© SZ vom 19.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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